Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)
Hans-Georg Wehling Foto: dpa

Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling ist Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Er argumentiert, dass Wahlsysteme mit Landeslisten bekannt und bewährt sind. Warum also soll es das nicht auch in Baden-Württemberg geben?:

 

„Am Anfang steht ein Problem: die mangelnde soziale Repräsentativität der Parlamente. Es gibt zu wenig Arbeiter, zu wenig Junge, besonders aber zu wenige Frauen, obwohl sie doch die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Der Landtag von Baden-Württemberg hat in allen diesen Bereichen ein großes Defizit. Das ist aber nicht nur ein Problem der CDU, auch die anderen Fraktionen stehen nicht so viel besser da – mit Ausnahme der Grünen.

Reformen durchzusetzen ist schwierig. Denn jede Wahlrechtsveränderung muss von denen beschlossen werden, die ihre parlamentarische Existenz dem geltenden System verdanken. Wir haben es letztlich also mit einem Parlament von Platzhirschen zu tun, denen man nicht so leicht beikommen kann. Eine Heidelberger Forschungsgruppe, der seinerzeit auch der junge Helmut Kohl angehörte, fragte nach den Erfolgsbedingungen von Kandidaturen zum Bundestag und fand als wichtigsten Faktor „das Prestige durch ein bereits innegehabtes Mandat“.

Also: Wer einmal im Parlament ist, hat die Chance, auch weiterhin ins Parlament zu kommen. Das bedeutet: Vom aktuellen Iststand ist auf dem herkömmlichen Weg keine merkbare Verbesserung der Chancen von Frauen zu erwarten. Natürlich kann man den Frauen beistehen, ihnen nützliche Hinweise geben. Man kann ihnen zum Beispiel raten, sich im vorpolitischen Raum und in der Frauenorganisation der Partei zu engagieren, in der Hoffnung, dass sie damit politische Erfahrung erwerben und bekannt werden. Ein sicherer Weg zu einem Landtagsmandat ist das nicht.

Gewicht der Landespartei wird erhöht

Aktuell wird in Baden-Württemberg über ein „besseres“ Wahlsystem diskutiert. Der Wähler hat hierzulande nur eine Stimme für den Kandidaten in seinem Wahlkreis. Das soll zu einer engen Bindung von Wählern und Gewählten führen. Die Parteien verfügen über keine Eingriffsmöglichkeit. Das soll sich mit einer Wahlrechtsreform ändern. Die Landespartei soll künftig über die Möglichkeit verfügen, mittels einer Landesliste Frauen, aber auch bewährte Experten abzusichern, wie das auch anderswo mit Hilfe von Landeslisten geschieht, auch bei Bundestagswahlen. Die Wählerschaft ist das gewohnt, die Parteien, die die Listen aufstellen, sowieso. Es handelt sich also um ein bekanntes und bewährtes Verfahren. Warum sollte das nicht für die Landtagswahl in Baden-Württemberg übernommen werden?

Hans-Georg Wehling Foto: dpa

Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling ist Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Er argumentiert, dass Wahlsysteme mit Landeslisten bekannt und bewährt sind. Warum also soll es das nicht auch in Baden-Württemberg geben?:

„Am Anfang steht ein Problem: die mangelnde soziale Repräsentativität der Parlamente. Es gibt zu wenig Arbeiter, zu wenig Junge, besonders aber zu wenige Frauen, obwohl sie doch die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Der Landtag von Baden-Württemberg hat in allen diesen Bereichen ein großes Defizit. Das ist aber nicht nur ein Problem der CDU, auch die anderen Fraktionen stehen nicht so viel besser da – mit Ausnahme der Grünen.

Reformen durchzusetzen ist schwierig. Denn jede Wahlrechtsveränderung muss von denen beschlossen werden, die ihre parlamentarische Existenz dem geltenden System verdanken. Wir haben es letztlich also mit einem Parlament von Platzhirschen zu tun, denen man nicht so leicht beikommen kann. Eine Heidelberger Forschungsgruppe, der seinerzeit auch der junge Helmut Kohl angehörte, fragte nach den Erfolgsbedingungen von Kandidaturen zum Bundestag und fand als wichtigsten Faktor „das Prestige durch ein bereits innegehabtes Mandat“.

Also: Wer einmal im Parlament ist, hat die Chance, auch weiterhin ins Parlament zu kommen. Das bedeutet: Vom aktuellen Iststand ist auf dem herkömmlichen Weg keine merkbare Verbesserung der Chancen von Frauen zu erwarten. Natürlich kann man den Frauen beistehen, ihnen nützliche Hinweise geben. Man kann ihnen zum Beispiel raten, sich im vorpolitischen Raum und in der Frauenorganisation der Partei zu engagieren, in der Hoffnung, dass sie damit politische Erfahrung erwerben und bekannt werden. Ein sicherer Weg zu einem Landtagsmandat ist das nicht.

Gewicht der Landespartei wird erhöht

Aktuell wird in Baden-Württemberg über ein „besseres“ Wahlsystem diskutiert. Der Wähler hat hierzulande nur eine Stimme für den Kandidaten in seinem Wahlkreis. Das soll zu einer engen Bindung von Wählern und Gewählten führen. Die Parteien verfügen über keine Eingriffsmöglichkeit. Das soll sich mit einer Wahlrechtsreform ändern. Die Landespartei soll künftig über die Möglichkeit verfügen, mittels einer Landesliste Frauen, aber auch bewährte Experten abzusichern, wie das auch anderswo mit Hilfe von Landeslisten geschieht, auch bei Bundestagswahlen. Die Wählerschaft ist das gewohnt, die Parteien, die die Listen aufstellen, sowieso. Es handelt sich also um ein bekanntes und bewährtes Verfahren. Warum sollte das nicht für die Landtagswahl in Baden-Württemberg übernommen werden?

Andere Vorstellung von der Rolle der Frauen nötig

Ein Allheilmittel für die genannten Defizite ist das sicher nicht. Der Erfolg der Grünen, wo fast überall die Parität von Männern und Frauen erreicht wird, hat andere Gründe. Es gibt möglicherweise wichtigere Erfolgsfaktoren als das Wahlrecht, zum Beispiel eine andere Vorstellung von der Rolle von Frauen.

Der „Angriff“ der CDU-Landtagsfraktion auf die vereinbarte Veränderung des Wahlsystems geschah auch mit den Stimmen aller weiblichen CDU-Landtagsabgeordneten. Hier wird deutlich, dass es zwischen den Parteien inhaltliche und kulturelle Unterschiede gibt, die auch aufgearbeitet werden müssen.“

Kontra: Basisdemokratie würde leiden

Joachim Behnke Foto: privat

Joachim Behnke lehrt als Professor für Politikwissenschaft an der Universität in Friedrichshafen. Die geplante Reform des Wahlrechts wird nur möglicherweise den Frauenanteil im Parlament erhöhen, sagt er. Ganz sicher werde sie aber andere Nachteile bringen:

„In den Nebenabreden zum Koalitionsvertrag hatte sich die grün-schwarze Koalition auf die Einführung einer starren Landesliste verabredet, was nun von der CDU-Fraktion abgelehnt wird. Die Einführung einer mit diesem Vorschlag verbundenen Zentralisierung des Nominierungsprozesses würde der Parteiführung mehr Einfluss bei der Auswahl eines großen Teils der Kandidaten geben. Dies kann man sowohl als Vorteil als auch als Nachteil sehen.

Während der Vorteil sich zugunsten einer besseren Repräsentation von Frauen im Parlament auswirken soll, würde der Nachteil in der Abschaffung wesentlicher basisdemokratischer Elemente des aktuellen Systems bestehen. Die entscheidende Abwägung scheint also die zu sein, ob wir für eine höhere Repräsentation der Frauen die Mitbestimmung „von unten“ bei der Kandidatenauswahl seitens der Wähler einschränken wollen. Tatsächlich aber wäre der „Vorteil“ rein hypothetischer Natur, wohingegen sich der Nachteil unmittelbar in der Praxis auswirken würde.

Einfluss der Wähler auf die Kandidaten-Auswahl schrumpft

Das Argument der Befürworter der Liste lautet, dass die Parteieliten ihren Einfluss dann dazu nutzen könnten, auf eine ausgewogene Repräsentation von Frauen bei der Nominierung zu achten. Dafür müssten aber zwei Bedingungen gelten: Erstens, dass die Parteien auch den Willen hätten, diesen Spielraum entsprechend zu nutzen und zweitens, dass sich dieser Spielraum überhaupt eröffnen würde.

Das Vorliegen der ersten Bedingung muss angesichts der Erfahrungen auf der Bundesebene eher angezweifelt werden. In jedem Fall aber würde die zweite Bedingung gerade in Bezug auf die CDU, die den stärksten Effekt auf die Unterrepräsentation der Frauen ausübt, nicht gegeben sein. Denn die CDU befördert in der Regel alle ihre Kandidaten (nur 2016 war eine Ausnahme) als Gewinner eines Direktmandats in den Landtag, womit die Liste bei ihr üblicherweise gar nicht zum Tragen kommt.

Die Basisdemokratie würde bei Einführung der Liste hingegen unmittelbar leiden, weil der Einfluss der Wähler bei der Auswahl ihrer lokalen Kandidaten entscheidend vermindert beziehungsweise völlig bedeutungslos würde.

Absurde Konstruktion

Der Gipfel der Absurdität: Hält man an der Einstimmenkonstruktion fest, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, würden die Listen selbst gar nicht gewählt werden können, es gäbe also keine „Parteienstimme“, die Ansprüche auf Listenmandate beruhten aber allein auf den für die Wahlkreiskandidaten abgegebenen Stimmen. Die Mandate sind aber nicht der Besitz der Parteien, sie sind diesen nur anvertraut.

Es ist daher kaum zu begründen, warum die Wähler, die mit ihren Stimmen die Sitze gewissermaßen „bezahlen“, kein oder eben nur ein sehr eingeschränktes Mitspracherecht dabei haben sollen, wer diese Sitze erhalten soll.

Fazit: Die beabsichtigte Reform wäre hinsichtlich des versprochenen Vorteils höchstwahrscheinlich untauglich und hinsichtlich des Nachteils mit Sicherheit schädlich.“