Eine Forderung, die einem großen Teil der Bevölkerung rasche Besserung verspricht, wird gerne als populistisch diskreditiert. Welch dürftige Argumentation. Als ob nur Eliten von politischen Beschlüssen profitieren dürften.

 

Matthias Schiermeyer Foto: Achim Zweygarth
So ist es auch beim angeblich populistischen Ziel eines gesetzlichen Mindestlohns: Ungefähr fünf Millionen Menschen würden mehr verdienen, wenn die Große Koalition eine allgemeine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro festlegt. In der Folge nimmt der Staat mehr Steuern ein und die Sozialkassen erzielen höhere Beiträge. Die Ausgaben für Hartz IV verringern sich. Alles in allem ein Milliardengeschäft. Noch nicht eingerechnet ist dabei die wachsende Kaufkraft, wovon vor allem der Handel profitiert – selbst wenn sich der Effekt nicht in Euro beziffern lässt. Bei so vielen konkreten Vorzügen kann ein Mindestlohn nicht per se des Teufels sein.
Matthias Schiermeyer Foto: Achim Zweygarth
So ist es auch beim angeblich populistischen Ziel eines gesetzlichen Mindestlohns: Ungefähr fünf Millionen Menschen würden mehr verdienen, wenn die Große Koalition eine allgemeine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro festlegt. In der Folge nimmt der Staat mehr Steuern ein und die Sozialkassen erzielen höhere Beiträge. Die Ausgaben für Hartz IV verringern sich. Alles in allem ein Milliardengeschäft. Noch nicht eingerechnet ist dabei die wachsende Kaufkraft, wovon vor allem der Handel profitiert – selbst wenn sich der Effekt nicht in Euro beziffern lässt. Bei so vielen konkreten Vorzügen kann ein Mindestlohn nicht per se des Teufels sein.

Auf Kosten der europäischen Nachbarn

Gewiss, der Lohn müsste bezahlt werden von Unternehmen, die ihre Geschäfte bisher auf der Basis geringfügiger Einkommen machen – weniger mit der Qualität ihrer Produkte oder Dienstleistungen. Man hat sich gut eingerichtet mit der Lohnabwärtsspirale – auch der Verbraucher. Ob beim Friseur oder im Einzelhandel: was billig ist, kommt an. Damit schädigen wir uns quasi selbst. Aber auch im europäischen Maßstab wirkt die Niedriglohnstrategie destabilisierend. Der Wirtschaft und dem Arbeitsmarkt geht es auch deswegen so gut, weil wir die Nachbarn mit Dumpinglöhnen unter Druck setzen. Siehe Fleischindustrie. Die Europäer benötigen von der Lokomotive Deutschland das Signal, dass Arbeit einen angemessenen Wert behält und Europa sozial bleibt.

Folglich muss es wie in den meisten EU-Ländern auch hierzulande ein Limit geben, das im Prinzip nicht unterschritten werden darf. Über die Ausgestaltung lässt sich reden. Spätere Anhebungen könnten von einer unabhängigen Kommission festgelegt werden. Doch klar ist: Je mehr Ausnahmen erlaubt sind, desto häufiger wird der Gesetzgeber ausgetrickst. Wie die Abwandlung der Werkverträge zeigt, sind viele Betriebe im Nutzen von Schlupflöchern kreativ. Um manch mies bezahlten Arbeitsplatz wäre es nicht schade. Solche Verluste regelt der Markt. Das Risiko des allgemeinen Jobschwunds ließe sich hingegen mit einem Stufenmodell verringern, indem der Osten an das höhere Niveau im Westen herangeführt wird. Entscheidend ist, dass die Löhne am unteren Rand gerade in jenen Bereichen der Wirtschaft, in denen die Tarifpartner völlig machtlos sind, nicht immer weiter ins Würdelose gedrückt werden können.

Kontra von Roland Pichler: Politik kann keine Löhne festlegen

Mit den Plänen für einen gesetzlichen Mindestlohn schlägt die Politik den falschen Weg ein. Man muss nur einmal den Blick in die Zukunft schweifen lassen und sich vorstellen, was passiert, wenn der Deutsche Bundestag künftig die Lohnuntergrenze bestimmte. Ein Teil der Lohnfindung würde ins Parlament verlagert. Parteien und Volksvertreter haben auf    diesem Gebiet keinerlei Expertise. Deutschland ist gut damit gefahren, dass die Löhne von Arbeitgebern und Gewerkschaften bestimmt werden. Die Tarifpartner können die Lage in den jeweiligen Branchen und Regionen am besten beurteilen. Der Bundestag kann dies nicht.

Roland Pichler Foto: Georg Moritz
Abenteuerlich wird es, wenn die SPD auf einen einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro für ganz Deutschland besteht. Solch eine Grenze führt nach Meinung der meisten Ökonomen vor allem in Ostdeutschland zu einem Arbeitsplatzabbau. Es macht schon einen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer in Rostock oder in Ravensburg wohnt. Mieten und Kaufkraft sind regional unterschiedlich. Zahlreiche Tarifverträge sehen nach wie vor eine unterschiedliche Bezahlung in Ost und West vor. Die SPD sollte das zur Kenntnis nehmen. In Ostdeutschland erhalten rund ein Viertel der Beschäftigten einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro. Im Westen sind es rund zwölf Prozent.

Löhne müssen am Markt verdient werden

Die Vorstellung, der Gesetzgeber könne für Millionen von Beschäftigten eine kräftige Lohnerhöhung beschließen und alles gehe so weiter, ist naiv. Das staatlich diktierte Lohnplus hat Folgen für die Betriebe. In vielen Fällen haben Gewerkschaften niedrige Gehälter ausgehandelt. Sie taten dies in der Erkenntnis, dass der Gaststättenbetreiber, der Landwirt oder der Getränkehändler um die Ecke nicht mehr bezahlen kann. Niedrige Löhne werden weniger in Großunternehmen bezahlt, sondern finden sich meist in kleinen und mittleren Unternehmen. Deren Kritiker unterstellen der Wirtschaft Geiz. Das mag in manchen Fällen zutreffen. Doch woher nimmt sich die Politik das Recht, dies zu beurteilen? Ein Wesensmerkmal in der Marktwirtschaft gerät in Vergessenheit: Löhne müssen am Markt verdient werden.

Der neue Bundestag würde den Betroffenen einen Bärendienst erweisen, wenn er Mindestlöhne ohne Rücksicht auf volkswirtschaftliche Wirkungen in Kraft setzte. Wenn die Politik schon der Meinung ist, sie müsse bei der Lohnfindung mitmischen, sollte sie wenigstens regionale und branchentypische Lösungen wählen.