Es kann jedem von uns blühen, und das keineswegs erst im hohen Alter: ein Unfall oder eine lang währende, unheilbare Erkrankung, deren Folgen und Umstände unser Leben so schmerzvoll und aussichtslos erscheinen lassen, dass wir uns nichts sehnlicher wünschen als den Tod. Eine Lage, in der nicht nur unsere Umwelt, sondern in der auch wir selbst sagen: der Tod wäre eine Erlösung.

 

Was dann geschieht, wenn dieser Satz fällt – und er fällt jeden Tag an vielen Stellen, in Wohnungen, Krankenhäusern und Pflegeheimen –, das ist niemals theoretisch oder abstrakt zu erörtern, sondern immer nur konkret, an Ort und Stelle, in jedem Einzelfall. Was der Leidende selbst, seine Angehörigen, die Schwestern und Pfleger, die Betreuer dann miteinander bedenken, um welche Entscheidungen sie ringen oder welche sie treffen – zum Beispiel über die Stärke von Schmerzmitteln, über das Absetzen von Therapien, über andere Dinge mehr –, das ist eine einzelne, konkrete Entscheidung. Jeder, der daran beteiligt ist, muss wissen, dass er sie zu verantworten hat, nicht nur vor den Regeln des Gesetzes, sondern vor allem vor seinem eigenen Gewissen.

Die Gewissensprüfung lässt sich nicht delegieren

Niemand behauptet, dass dies eine leichte Situation ist. Aber schrecklich die Vorstellung, der Gesetzgeber wollte für diese Grenzzone der Existenz scheinbar objektive, abstrakte, erleichternde Umstände festlegen, wollte ein Regelwerk aushandeln, das die Formulierungen vorgibt, mit denen ein Mensch seinen Tod juristisch gültig wünschen kann, das die Zahl der Experten definiert, die den Zustand des Menschen zu begutachten und den Grad seiner Hoffnungslosigkeit zu klassifizieren haben, das schließlich die Behörde einrichtet, deren Fachpersonal dann den finalen Akt zu vollziehen hat.

Dieser Gesetzesweg, den einige unserer Nachbarn bereits beschritten haben, ist ein fundamentaler Irrweg. Er suggeriert Sicherheit qua Ordnung – und sorgt doch nur dafür, dass Menschen ihre ganz persönliche Verantwortung, die Prüfung ihres eigenen Gewissens an Dritte, Vierte, Fünfte delegieren. An die Stelle des Mitfühlens und der Zuwendung, auch übrigens im politischen Sinn, tritt der Verweis auf das abstrakte Regelwerk. Dem Individuum wird nicht Autonomie gewährt; diese Behauptung ist eine rein intellektuelle Chimäre. Es wird in die Einsamkeit gejagt.

Unsere Verfassung beginnt mit einem großen Versprechen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im ersten Satz des ersten Artikels. Dieses Versprechen gilt für das Leben wie für dessen Ende. Die Verfassung verpflichtet uns zu respektieren, wenn jemand es nicht mit seinem ganz persönlichen Verständnis von Würde vereinbaren kann, das irdische Dasein als Pflegefall oder Komapatient, unter Schmerzen oder Dauerberieselung durch Drogen zu beschließen. Es ist menschenverachtend, solchen Leuten nur die Wahl zu lassen, sich einen Revolver zu besorgen oder eine letzte Reise in die Schweiz zu unternehmen.

Es geht um einen letzten Ausweg

Freitod ist in Deutschland nicht strafbar. Deshalb kann auch die Beihilfe zu einem solchen Akt nicht strafbar sein. Jeder hat das Recht, sein Lebensende selbst zu bestimmen – es ist das letzte Freiheitsrecht, das die Verfassung uns garantiert. Es gibt keine staatsbürgerliche Pflicht zum Dahinsiechen. Und es wäre vermessen, bis in den Tod hineinregieren zu wollen. Das Sterben lässt sich nicht gesetzlich regulieren. Ein aufgeklärter, religiös neutraler Staat muss seine Bürger vor moralischen Imperativen bewahren, zumal dann, wenn sie die letzten Dinge betreffen.

Natürlich geht es nicht darum, den Suizid auf Krankenschein als Regelfall zu deklarieren. Aber es ist doch schlichtweg unredlich, so zu tun, als könne die Medizin ein gutes Sterben garantieren. Sie kann allenfalls zu einem schnellen Tod verhelfen.

Es geht um einen letzten Ausweg – den die meisten, welche die Aussicht auf diesen Ausweg für trostreich halten, gar nicht beschreiten werden. Es wäre zutiefst inhuman, diesen Ausweg mit einem neuen Paragrafen zu verbauen.

Ein Verbot der Sterbehilfe fördert das Geschäft mit dem Tod

Niemand soll zum Sterben gedrängt, aber auch niemand partout zum Weiterleben gezwungen werden. Und natürlich muss jedem Arzt freistehen, ob er Patienten diesen letzten Dienst erweisen will. Was wäre mit einem Verbot der Beihilfe zum Suizid erreicht? Es würde den Sterbetourismus ankurbeln – das schmutzige Geschäft mit dem Tod.

(Armin Käfer leitet das Berliner Parlamentsbüro der StZ)

Kontra: Tim Schleider sieht einen fundamentalen Irrweg

Es kann jedem von uns blühen, und das keineswegs erst im hohen Alter: ein Unfall oder eine lang währende, unheilbare Erkrankung, deren Folgen und Umstände unser Leben so schmerzvoll und aussichtslos erscheinen lassen, dass wir uns nichts sehnlicher wünschen als den Tod. Eine Lage, in der nicht nur unsere Umwelt, sondern in der auch wir selbst sagen: der Tod wäre eine Erlösung.

Was dann geschieht, wenn dieser Satz fällt – und er fällt jeden Tag an vielen Stellen, in Wohnungen, Krankenhäusern und Pflegeheimen –, das ist niemals theoretisch oder abstrakt zu erörtern, sondern immer nur konkret, an Ort und Stelle, in jedem Einzelfall. Was der Leidende selbst, seine Angehörigen, die Schwestern und Pfleger, die Betreuer dann miteinander bedenken, um welche Entscheidungen sie ringen oder welche sie treffen – zum Beispiel über die Stärke von Schmerzmitteln, über das Absetzen von Therapien, über andere Dinge mehr –, das ist eine einzelne, konkrete Entscheidung. Jeder, der daran beteiligt ist, muss wissen, dass er sie zu verantworten hat, nicht nur vor den Regeln des Gesetzes, sondern vor allem vor seinem eigenen Gewissen.

Die Gewissensprüfung lässt sich nicht delegieren

Niemand behauptet, dass dies eine leichte Situation ist. Aber schrecklich die Vorstellung, der Gesetzgeber wollte für diese Grenzzone der Existenz scheinbar objektive, abstrakte, erleichternde Umstände festlegen, wollte ein Regelwerk aushandeln, das die Formulierungen vorgibt, mit denen ein Mensch seinen Tod juristisch gültig wünschen kann, das die Zahl der Experten definiert, die den Zustand des Menschen zu begutachten und den Grad seiner Hoffnungslosigkeit zu klassifizieren haben, das schließlich die Behörde einrichtet, deren Fachpersonal dann den finalen Akt zu vollziehen hat.

Dieser Gesetzesweg, den einige unserer Nachbarn bereits beschritten haben, ist ein fundamentaler Irrweg. Er suggeriert Sicherheit qua Ordnung – und sorgt doch nur dafür, dass Menschen ihre ganz persönliche Verantwortung, die Prüfung ihres eigenen Gewissens an Dritte, Vierte, Fünfte delegieren. An die Stelle des Mitfühlens und der Zuwendung, auch übrigens im politischen Sinn, tritt der Verweis auf das abstrakte Regelwerk. Dem Individuum wird nicht Autonomie gewährt; diese Behauptung ist eine rein intellektuelle Chimäre. Es wird in die Einsamkeit gejagt.

Jedem von uns kann das Schlimmste blühen. Hoffen wir, dass wir dann nicht allein sind. Allein mit einem inhumanen Gesetz. Ja, wirklich: es geht um ein Tabu.

(Tim Schleider leitet die Kulturredaktion der StZ)