Nicht genug Personal, kaum Ausstattung. Die Probleme der Bundeswehr potenzieren sich bei der Reserve. Dabei hat sie im Ernstfall wichtige Aufgaben.

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

Eine Szene im Wald. Bewaffnete Männer haben einen Checkpoint aufgebaut, sie tragen Flecktarnuniformen und Sturmgewehre. Militärfahrzeuge sind allerdings nicht zu sehen, sondern lediglich zivile Pkw. Handelt es eine Miliz in einem Bürgerkriegsland? Nein, es ist die Reserve der Bundeswehr auf einer offiziellen Übung. Diese Szene wird von Teilnehmern eines solchen Manövers geschildert. Und sie steht sinnbildlich für den Zustand der Reserve.

 

Dass die reguläre Truppe Probleme mit Nachwuchs, Ausbildung und Ausrüstung hat, ist bekannt. Doch bei der Reserve potenzieren all diese Probleme. Halb so schlimm, mag man denken. Wichtig ist, dass die Kerntruppe gut ausgestattet ist. Doch haben Reservisten entscheidende Aufgaben. Sie würden im Kriegs- oder Spannungsfall Kasernen, Flughäfen oder Kraftwerke bewachen. Auch den Verwundetentransport, das Nachschubwesen, die Logistik würden Reservisten übernehmen. Und wenn der Konflikt andauert, würden sie die Lücken der verwundeten und getöteten Berufssoldaten füllen. „Die Reserve der Bundeswehr gewährleistet den Aufwuchs, verstärkt die Einsatzbereitschaft und erhöht die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr“, heißt es im aktuellen Strategiepapier zur Reserve der Bundeswehr. Doch von diesen Zielen ist man derzeit weit entfernt. „Eine funktionierende Reserve ist Teil einer wirksamen Abschreckung, derzeit vor allem gegenüber Russland.

Doch so wie die Reserve aktuell konzipiert ist, kann sie all das nicht leisten“, sagt Patrick Sensburg, Vorsitzender des Reservistenverbands, unserer Zeitung. „Sie ist eine Truppe, die noch weitgehend auf dem Papier existiert.“ Um die Aufgaben der Reserve wirklich leisten zu können, brauche es eine umfassende Neuausrichtung, sagt der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete.

Schaut man auf die Zahlen scheint diese Sorge zunächst unbegründet. Nominell gibt es 900 000 Reservisten, denn jeder, der aus der Bundeswehr ausscheidet, wird dafür eingeplant. Regelmäßig üben davon lediglich 34 000 und das häufig zu schlechten Bedingungen.

Bei Übungen fehlt häufig die Ausrüstung

Richtig trainieren können die Reservisten nicht, weil oft Material fehlt. Offiziere berichten, dass schon simple Schießübungen kompliziert zu organisieren seien, von größerem Gerät einmal ganz abgesehen. Das Maximum, was man zum Üben bekommen könne, seien zivile Pkw aus dem Fuhrparkservice der Bundeswehr, berichtet einer. Die nutze man, um von der Kaserne zum Truppenübungsplatz zu fahren. Dort angekommen üben dann auch Panzerkommandanten oder Artilleristen nicht etwa an Leopard 2 oder Panzerhaubitze 2000, sondern häufig zu Fuß. Bei Ausbildung, Ausrüstung, Übung – und selbst bei Bekleidung gebe es „nach wie vor noch deutliche Defizite“, heißt es entsprechend im kürzlich vorgestellten Bericht der Wehrbeauftragten Eva Högl.

„Wenn es um Ausrüstung geht, muss die Reserve bei der aktiven Truppe betteln gehen. Das kann nicht sein. Es braucht genug Material, auch Fahrzeuge und Waffen, mit dem echte Ausbildung und Übung möglich ist. Nur so kann die Reserve attraktiv sein“, sagt Verbandschef Sensburg.

Denn die schlechten Bedingungen demotivierten die Reservisten, berichten Soldaten. Die Folge: Wenn Reserveoffiziere zu den seltenen Übungen einladen, seien sie froh, wenn auch nur ein Drittel der angeschriebenen Soldaten auftaucht.

Verteidigungsministerium verweist auf Fehler der Vergangenheit

Um diesen Missstand zu beheben, fordert Sensburg mehr Verbindlichkeit. Denn bislang können Reservisten selbst entscheiden, ob sie üben oder nicht. „Meiner Meinung nach sollten sie verpflichtet sein, mindestens alle zwei Jahre für 14 Tage zu üben“, sagt er. Für diese Zeit sollten sie auch vom Arbeitgeber freigestellt werden, fordert Sensburg. Bislang können diese ein Veto einlegen. „Engagement darüber hinaus kann weiter freiwillig bleiben, aber weniger geht eben nicht“, sagt er.

Auf Anfrage gibt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums zu, dass hinsichtlich Personal und Material „Nachholbedarf“ bei der Reserve bestehe. Sie verweist auf die Fehler der vergangenen Jahrzehnte. „Was für die Bundeswehr im Allgemeinen gilt, dass wir die letzten 30 Jahre in der guten Hoffnung der Friedensdividende gelebt und gewirtschaftet haben, gilt im Grundsatz ebenso für die Reserve der Bundeswehr.“