Das Produkthaftungsrecht ist für die meisten Verbraucher ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei ist irgendwann jeder einmal von fehlerhaften Produkten betroffen. Wie im aktuellen Fall eines E-Roller-Fahrers, dessen Akku bei der Fahrt plötzlich versagte. Und was nun? Ein Experte gibt Tipps.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Wer als Verbraucher mit Fragen zur Produkthaftung von Herstellern konfrontiert ist, wird vermutlich schnell verzweifeln. Brüchige Schrauben, gefährliche Fehlkonstruktionen, missverständliche Bedienungsanleitungen, fehlende Sicherheitshinweise: Die Liste von Produktfehlern ist lang.

 

„Jeder Fehler kann zu tragischen Folgen führen“, sagt Christoph Herrmann, Rechtsredakteur bei der „Stiftung Warentest“. Doch wer schaut als „Otto-Normal-Verbraucher“ schon in das betreffende „Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte“ – das Produkthaftungsgesetz, kurz ProdHaftG.

  • Wie komplex und für den juristischen Laien kaum durchschaubar solche im Alltag häufig vorkommenden Produkthaftungsfragen sind, zeigt ein aktueller Fall aus Stuttgart.

Bei Bergab-Fahrt versagt plötzlich der Akku eines E-Rollers

Bei einem E-Roller hatte bei einer Bergab-Fahrt auf einer innerstädtischen Straße ganz plötzlich der Akku ausgesetzt. Der Fahrer konnte folglich nicht mehr mit der Motorbremse bremsen. Zum Glück war nichts passiert. Doch es hätte auch „schlimm“ ausgehen können – mit gesundheitlichen Folgeschäden bei einem Sturz – trotz Sicherheitshelm.

Was sagt der E-Roller-Hersteller?

Auf Nachfrage hieß es seitens des Herstellers, dass „einige“ E-Roller dieses Typs mit „defekten Akkus“ ausgestattet seien. Wenn der Akku voll aufgeladen sei und man bergab fahre, könnte es passieren, dass der Akku plötzlich versage und die Elektronik ausgehe.

Wie viele E-Roller davon betroffen sind, könne man nicht sagen, hieß es weiter. Das technische Problem sei aber bekannt und inzwischen behoben. Alle neuen E-Roller würden störungsfrei funktionieren.

„Das Gesetz ordnet an: Der Hersteller haftet“

Ist die Sache damit erledigt? Für den Kunden: Ja. Rechtlich gesehen: Wenn nichts passiert, ist die Sache auch rechtlich ausgestanden. Die Haftung spielt erst dann eine Rolle, wenn der Kunde durch den Produktfehler Schäden erlitten hat.

„Das Gesetz ordnet an: Der Hersteller haftet“, stellt Christoph Herrmann klar. Er müsse bei Verletzungen oder Erkrankungen für Arzt, Krankenhaus und Verdienstausfall sowie Schmerzensgeld zahlen und Sachschäden über 500 Euro ausgleichen.

Müssen Kunden dem Hersteller ein Verschulden nachweisen?

Nein, sagt der Fachmann. „Ein Verschulden muss den Hersteller nicht treffen.“ Feststehen müsse nur, dass ein Fehler des Produkts zum Schaden führte.

Selbst wenn die Ware oder Bauteile – wie im vorliegenden Fall der E-Roller-Akku – aus dem Ausland jenseits der EU kämen, hat der Kunde gute Chancen auf Schadenersatz. Dann steht nämlich der Importeur für den Schaden gerade.

Kann auch der nicht ermittelt werden, dann gilt: „Der Händler zahlt, wenn er nicht sagen kann, wer für das Produkt verantwortlich ist“, erklärt Herrmann.

Produkthaftung greift auch bei potenziellen Gefahren

Dass im Fall des E-Roller-Akkus ein Produktfehler vorgelegen hat, steht für Christoph Herrmann außer Frage. Auch wenn mit nur geringer Wahrscheinlichkeit Unfälle und damit Verletzungen drohen, sei der Hersteller verpflichtet, Benutzer seiner Produkte zu warnen.

„Produktfehler sind nicht nur gefährliche Qualitätsmängel und Konstruktionsfehler, sondern auch fehlende Sicherheitsvorkehrungen und -hinweise sowie unzureichende Bedienungsanleitungen.“ Erst zehn Jahre, nachdem das fehlerhafte Produkt erstmals zum Verkauf angeboten wurde, würde die Haftung erlöschen, so der Experte.

Hinweis auf der Homepage des Herstellers

Was müssen Hersteller tun, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein? „Das Mindeste ist“, so Hermann, „sie müssten auf ihrer Homepage darauf hinweisen, dass einige ihrer Produkte potenziell technische Mängel aufweisen.“

Das gelte so lange, wie noch Gefahr durch fehlerhafte Produkte besteht. Erst wenn der Hersteller alle gefährlichen Produkte entschärfe oder aus dem Verkehr gezogen habe, braucht es keine Warnung mehr.

Das rät die „Stiftung Warentest“ Verbrauchern

  • Bewahren Sie Belege sowie Gebrauchsanweisung und sonstige Unterlagen zu Produkten, die Ihnen gefährlich werden könnten, zehn Jahre lang auf.
  • Verkehrs-, Arbeits- und Haushaltsunfälle oder Krankheitssymptome können immer auch Folge von Produktfehlern und unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen sein. Gehen Sie der Sache nach, wenn Ihnen etwas „komisch“ vorkommt.
  • Wer gefährliche Ware trotz Kenntnis vom Rückruf weiter benutzt, erhält keinen Schadenersatz. Sein Mitverschulden überwiegt dann die verschuldensunabhängige Herstellerhaftung.

Fallbeispiel: Wenn ein Fahrrad wegen Qualitätsmängel versagt

Das tatsächlich mal etwas „schief“ gehen kann, zeigt der Fall eines Radfahrers, der bereits vor einigen Jahren einen Unfall mit seinem Fahrrad hatte. Die „Stiftung Warentest“ hatte darüber berichtet. Die Ursache für den Sturz scheint auf den ersten Blick lapidar: eine winzige Schraube.

Zunächst war der Radler, ein niedergelassener Arzt, von einem normalen Unfall ausgegangen. Bis er zufällig in einer Zeitung las: Der Fahrradteile-Hersteller hatte die von ihm verwendete Federsattelstütze wegen Bruchgefahr zurückgerufen.

Der Radfahrer forderte daraufhin Schadenersatz. „20 500 Euro Schmerzensgeld und Verdienstausfall erhielt er schließlich, nachdem er einen Rechtsanwalt eingeschaltet hatte“, berichtet Christoph Herrmann. „Der Rückruf der gefährlichen Sattelstützen änderte nichts an seinem Anspruch, weil der Radfahrer zu spät davon erfahren hatte. Es ist Sache des Herstellers, Verbraucher vor mangelhafter Produktion zu warnen und so Unfälle zu verhindern.“

Produkthaftung gilt auch bei Materialschäden

Der Fahrradunfall des Arztes sorgte für ein juristisches Nachspiel. Das Fazit: Wegen eines Materialfehlers kann ein Hersteller haftbar gemacht werden. Bis zu zehn Jahre nach dem Kauf sieht das Produkthaftungsgesetz eine Haftungspflicht auch ohne Verschulden vor.

Laut Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) seien Radfahrern in mehreren Urteilen Schmerzensgeld und Erstattung der Arztkosten zugesprochen worden:

  • So befand das Oberlandesgericht Oldenburg einen Fahrradhersteller für schuldig, der schadhafte Pedale montiert hatte (Az. 7 U 1317/95).
  • Das Oberlandesgericht Köln verurteilte den Hersteller einer Federgabel zur Zahlung von Zahnarztkosten und Schmerzensgeld, weil die Gabel eines Mountainbikes durch Materialermüdung gebrochen war (Az. 3 U 116/00).

Info: Schadenersatz bei defekten Produkten

Produkthaftung
Die Mitgliedsstaaten der EU müssen die Produkthaftung noch weiter verschärfen. Laut der am 12. März 2024 verabschiedeten neuen Produkthaftungsrichtlinie sollen die Hersteller zukünftig auch für Schäden durch Software-Fehler haften. Dazu sollen künftig auch Datenverluste zählen. Außerdem sollen es Opfer von Produktfehlern Beweiserleichterungen zugutekommen.

Hersteller
Oft ist es schwierig nachzuweisen, dass ein Produktfehler für den Schaden verantwortlich ist. Die Hersteller sind künftig in der Pflicht, von sich aus offenzulegen, was sie über das Produkt und die mit ihm verbundenen Risiken wissen. Allerdings: Gesetz ist das noch nicht. Die EU-Mitgliedsstaaten sind allerdings verpflichtet, ihre Gesetze innerhalb von 24 Monaten entsprechend der neuen Richtlinie zu ändern.