In den Pflegeberufen gibt es zu wenig Nachwuchs – und daran wird sich so schnell nichts ändern, warnt Steve Strupeit. Er leitet das Institut für Pflegewissenschaft der PH Schwäbisch-Gmünd und hat einige Ideen, wie pflegende Berufe aufgewertet werden könnten.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Waiblingen - Der Personalmangel in der Pflege werde sich verschärfen, gerade in den ländlichen Regionen drohten in Zukunft große Versorgungslücken. Um den Beruf aufzuwerten, brauche es neue Konzepte – und mehr Akademisierung, sagt Professor Steve Strupeit, der Institutsleiter des Instituts für Pflegewissenschaft der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.

 
Professor Strupeit, wie steht es um die Pflege in der Region?
Der Personalmangel ist überall angekommen. Dabei ist der wirtschaftsstarke Süden Deutschlands – wie in anderen Branchen auch – stärker vom Fachkräftemangel betroffen als der Norden. Das wird sich in Zukunft noch verschlimmern, weil viele Kollegen in den Ruhestand gehen. Aufgrund der dadurch höheren Arbeitsbelastung scheiden dann von den verbleibenden Mitarbeitern häufig weitere aus. Da über Jahre hinweg zu wenige Leute ausgebildet wurden, gibt es kaum Nachwuchs, der freie Stellen besetzen könnte. Gerade im ländlichen Raum werden wir zunehmend in Versorgungslücken geraten.
Gleichzeitig ist Pflege aber auch ein großer Markt – jeden Monat werden ungefähr 60 bis 70 private ambulante Pflegedienste neu gegründet.

Dass es im Bereich der Pflege eine marktwirtschaftliche Situation und dementsprechenden Wettbewerb gibt, ist politisch gewollt. Die Frage ist, wie viele der neu gegründeten Dienste dauerhaft überleben. Allerdings kann man auch sagen, dass eine Pflegefachkraft, die heute keinen Job hat, etwas falsch macht. Dabei spielen aber auch immer die Arbeitsbedingungen eine entscheidende Rolle.

Was bedeutet denn die Zunahme von privatwirtschaftlichen Trägern für die pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörige?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Allerdings werden viele der zeitintensiven Leistungen von den Kassen schlecht bezahlt. Hinzu kommt, dass besonders im ländlichen Raum die Anfahrtswege oft lang sind, sodass die Zeit, die für den Patienten bleibt, entsprechend geringer wird oder Patienten für einen Pflegedienst so „unattraktiv“ werden, dass er sie sogar ablehnt, weil sich der Aufwand finanziell einfach nicht rechnet.

Ist das auch der Grund, warum ein Großteil der Pflege von den Angehörigen selbst geleistet wird?

Das liegt vor allem daran, dass viele Angehörige auf das Pflegegeld angewiesen sind, ohne das sie finanziell gar nicht über die Runden kämen. Das volle Pflegegeld gibt es nämlich nur, wenn die Pflege von Angehörigen geleistet wird. Da die Lebensentwürfe immer individueller werden, ist aber davon auszugehen, dass es langfristig weniger Angehörige geben wird, die bereit sind, selbst zu pflegen.

Wie gewinnt man neue Pflegekräfte?

Das Problem wird sich nicht akut lösen lassen, solange es kein neues Personal gibt. Deshalb muss zunächst geschaut werden, wie Pflege mit den vorhandenen Ressourcen sichergestellt werden kann, oder ob gegebenenfalls Pflegefachkräfte aus dem Ausland gewonnen werden können. Des Weiteren könnten Hilfskräfte und ungelernte Pflegehelfer für Entlastung sorgen, solange auf Qualitätsstandards geachtet wird. Es geht darum, die Leute in der Praxis, quasi am Bett des Patienten, zu halten und zu verhindern, dass sie ins Management oder in die Lehre abwandern.

Wie kann das gelingen?

Das Berufsbild muss aufgewertet werden – nicht nur finanziell, sondern auch durch verstärkte Akademisierung und Professionalisierung. Es wäre ebenfalls denkbar, dass Pflegefachkräfte verstärkt medizinische Aufgaben eigenständig erbringen. Eine wichtige Frage ist zudem, wie der Beruf für Männer attraktiver gemacht werden kann. Pflege ist zu 80 bis 90 Prozent weiblich, weil sie – soziologisch gewachsen – lange Zeit nur als Hilfsberuf des Arztes wahrgenommen wurde, als etwas, das vor allem mit weiblichen Tugenden assoziiert wird und das „doch jeder machen kann“. Diese Ansicht herrschte lange Zeit vor, auch in der Politik. Zudem hat Deutschland die Akademisierung der Pflege jahrelang verschlafen.

Welchen Beitrag könnte die Politik dazu leisten?

Wenn Pflegekräfte mehr verdienen sollen, müssen die Kranken- und Pflegekassen die jeweiligen Leistungen natürlich höher vergüten. Wichtig wäre es auch, Personaluntergrenzen festzulegen. Das heißt: Eine Pflegeeinrichtung, die eine bestimmte Anzahl an Patienten versorgt, muss dementsprechend viele Mitarbeiter haben, damit die Personaldecke auch dann noch ausreichend ist, wenn Kollegen ausfallen. Ansonsten verschleißen Ihnen die Mitarbeiter, weil die Arbeitsbelastung immer höher wird. Ich glaube, die Politik ist durchaus bereit, an einigen Stellschrauben zu drehen, aber die Maßnahmen werden erst in ein paar Jahren greifen.

Wie nimmt die Bevölkerung Pflegeberufe wahr?

In der Gesellschaft haben Pflegekräfte bereits ein hohes Ansehen. Trotzdem muss das Berufsbild positiver dargestellt werden. In den Medien wird Pflege häufig nur mit den Begriffen Missstand und Notstand in Verbindung gebracht, es entsteht der Eindruck, dass das einfach kein guter Job ist. Natürlich gibt es diese Missstände, aber wir haben viele tolle Kollegen, die jeden Tag tolle Arbeit leisten. Es ist ein Beruf, in dem man von seinen Patienten sehr viel zurück bekommt. Und tatsächlich ist der Pflegemarkt so heterogen, dass es auch viele positive Beispiele gibt.

Zur Person

Mann der Praxis:
Steve Strupeit, Jahrgang 1980, ist Professor für Pflegewissenschaft an der PH Schwäbisch Gmünd und Direktor des Instituts für Pflegewissenschaft. Er hat Gesundheits- und Krankenpfleger gelernt und war viele Jahre in der Intensivpflege tätig.

Mann der Forschung: Nach dem Studium in Berlin war er Mitarbeiter an mehreren Projekten. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Bereiche Mobilität und Lebensqualität, Wundheilung und Qualitätssicherung.