Nach drei Gehirnerschütterungen in den vergangenen anderthalb Jahren meldet sich Timo Baumgartl zurück. Der 23-Jährige spricht über seine Leidenszeit, die Zukunft und erklärt, warum ein Kopfschutz für ihn eher nicht in Frage kommt.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - Fußballer leben mit der ständigen Gefahr von Verletzungen. Sehnen können reißen, Gelenke sich entzünden, Knorpel porös werden. In den meisten Fällen ist das ärgerlich und schmerzhaft, aber selten dramatisch – es ist eben das alltägliche Risiko in der Fußball-Bundesliga.

 

Weniger gewöhnlich lesen sich die Einträge in der Krankenakte von Timo Baumgartl. Gehirnerschütterung mit leichtem Schleudertrauma – so ist es dort vermerkt, und das bereits zum dritten Mal in den vergangenen 18 Monaten. Klingt dramatisch? Ist es auch, sofern man sich mögliche Langzeitschäden vor Augen führt: Depressionen, Alzheimer und Parkinson zählen ebenso zu den möglichen Folgen wie Gedächtnisschwächen, Aufmerksamkeitsstörungen und epileptische Anfälle.

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Davon ist Timo Baumgartl glücklicherweise ganz weit entfernt. Entspannt sitzt er nach der vormittäglichen Trainingseinheit in der Geschäftsstelle des VfB Stuttgart und spricht über seine Leidenszeit – die einen langen Anfang hat, nun aber dem Ende entgegenstrebt. „Seit vergangener Woche ist das ärztliche Kontaktsportverbot aufgehoben. Mir geht es gut, ich kann wieder normal trainieren“, sagt der Abwehrspieler. Eine Rückkehr in den Mannschaftskader für das Spiel bei Borussia Dortmund (Samstag, 15.30 Uhr) ist also durchaus denkbar.

Doch niemand will etwas überstürzen; Baumgartl nicht und auch der VfB nicht. „Der Verein gibt mir alle Zeit der Welt“, betont der 23-Jährige: „Das ist auch gut so.“ Das Gehirn, gibt der Blondschopf einen kleinen neurologischen Exkurs, sei im Prinzip ein Körperteil wie jedes andere. „Es hat eine gute Regenerationsfähigkeit.“ Sofern das Nervengewebe gut durchblutet ist, heilt es normalerweise von selbst. Das ist bei Baumgartl der Fall, alle erdenklichen Untersuchungen hätten das ergeben. Weshalb sich auch niemand um die Fortsetzung seiner Karriere als Profifußballer sorgen müsse.

Wie ein Auffahrunfall mit dem Auto

Die Spezialisten haben ihn darin bestärkt, das Training wieder aufzunehmen, nachdem es beim ersten Versuch vor zwei Wochen einen Rückschlag gab – der Kopf nahm die Vollbelastung noch nicht an. Über vier Wochen sind seit dem letzten Knock-out vergangen. Die Faust des Torwarts im Training war es, die den Verteidiger niederstreckte. Sie kam von hinten, wie eine unsichtbare Schleuder.

„Das ist das Tückische am Fußball“, sagt Baumgartl, „wenn man nicht mehr reagieren kann.“ Der U-21-Nationalspieler vergleicht es mit einem Auffahrunfall mit dem Auto. Zack – binnen Millisekunden wird das Gehirn einmal zurück und wieder nach vorn geschleudert. Baumgartls erste Gehirnerschütterung verursachte im August 2017 ein Schuss aus kurzer Distanz ins Gesicht, beim zweiten Mal streckte ihn ein Freistoß des Kölners Milos Jojic nieder. Jetzt der Luftcrash im Training.

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„Eigentlich passiert so etwas ja selten“, sagt Baumgartl. Dass es dem Bundesliga-Profi gleich dreimal innerhalb von anderthalb Jahren den Kopf derart durchschüttelte, erachtet er als Sportlerschicksal.

Der Fußballweltverband Fifa regelt in einem Protokoll, was der Sportler nach einer solchen Verletzung wann wieder machen darf. In der Akutphase der ersten zwei, drei Tage soll das Gehirn möglichst wenig Reizen ausgesetzt werden. Weshalb für den Böblinger anfangs Handy, Fernseher und Computer tabu waren. Danach stehen zahlreiche Tests auf dem Programm. Messen der Gehirnströme, Kontrolle der Halswirbelsäule. Und ganz viel Ruhe. Nach vier Wochen gilt eine Gehirnerschütterung mit Schleudertrauma wie bei Baumgartl in der Regel als ausgeheilt. Doch was ist schon die Regel?

Einen Helm will er nicht tragen

„Jeder Sportler hat ein gewisses Körpergefühl, aber jeder Körper reagiert anders auf eine Verletzung,“ sagt der 23-Jährige – weshalb der VfB-Profi auch nicht über andere urteilen will, auch nicht über die beiden Nürnberger Christian Mathenia und Tim Leibold, die kürzlich trotz eines jeweils schweren Zusammenpralls samt Brummschädel bis zum Ende durchspielten – und auch noch als Helden gefeiert wurden. „Das muss jeder selbst wissen“, urteilt das gebrannte Kind. Oftmals sei es aber auch so, dass die Schmerzen und die Schwere der Verletzung durch das Adrenalin während der 90 Minuten gar nicht bemerkt würden.

Weshalb Baumgartl auch einer Regelung wie in der amerikanischen Football-Liga NFL skeptisch gegenübersteht. Dort werden am Kopf verletzte Spieler vom Feld genommen und direkt am Spielfeldrand von Ärzten kognitiven Tests unterzogen. „Im Fußball kann man ja einen Spieler nicht mal eben für zehn Minuten vom Feld nehmen“, hält der Innenverteidiger das sogenannte Concussion Protocol für seine Sportart untauglich.

Und der Helm? Der Profi runzelt die Stirn. „Ich habe mich tatsächlich schon damit beschäftigt“, sagt er. „Ob er was bringt, ist die andere Frage.“ Zwar könne ein Kopfschutz vor Brüchen und Platzwunden schützen, nicht aber vor einer Gehirnerschütterung. Abrupte Schleuderbewegungen des Kopfes kann auch ein Helm nicht verhindern.

Letztlich kann der Sportler nur sich selbst schützen: durch den besonnenen Umgang mit einer Gehirnerschütterung, so sie denn aufgetreten ist. „Ein kaputtes Knie kann man irgendwann ersetzen“, sagt Baumgartl, „eine Hüfte auch. Beim Gehirn wird es schwierig.“ Weshalb sich Timo Baumgartl alle Zeit genommen hat, die nötig war, um sich jetzt wieder in Bälle und Zweikämpfe zu werfen.

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