Die Stadtverwaltung hat die Zielmarke für Neubauwohnungen auf jährlich 1300 Einheiten gesenkt. Der Mieterverein protestiert dagegen.

Stuttgart - Wie viele neue Wohnungen braucht Stuttgart pro Jahr, damit die Einwohnerzahl stabil gehalten werden kann? Um die richtige politische Antwort auf diese Frage wird seit nunmehr fast zehn Jahren gestritten. Zunächst hatte die Stadt 2000 neue Wohnungen als jährliche Zielmarke ausgegeben, dann sank die Zahl im Zuge heftiger Debatten um weitere Neubaugebiete, die mehrheitlich nicht gewollt wurden und werden, auf 1800 und zuletzt auf 1500 - erreicht wurden die gesetzten Ziele freilich so gut wie nie. Erst in den vergangenen beiden Jahren entsprach die Zahl der Baugenehmigungen in etwa den Erwartungen. Jetzt hat die Stadt die Zielvorgabe erneut gesenkt - auf 1300 Neubauwohnungen. Und prompt gibt es neuen Streit. Der Mieterverein schreit auf, und der Verein Haus & Grund hält dagegen.

 

Der Meinungsumschwung der Stadt stützt sich auf eine neue Trendschätzung des Statistischen Amtes, die jüngst veröffentlicht wurde. Diese basiert auf einer neuen Modellrechnung und geht davon aus, dass aufgrund abnehmender Einwohner- und Haushaltszahlen im Jahr 2010 und der hohen Bautätigkeit der letzten Jahre inzwischen kein rechnerisches Wohnungsdefizit mehr besteht. Infolge der neuen Zweitwohnungsteuer sank die Zahl der wohnberechtigten Einwohner auf 577.400, diese verteilen sich auf knapp 300.000 Haushalte.

Jährlich rund 700 zusätzliche Wohnungen nötig

Statt auf ungenauen, weil seit der letzten Zählung 1987 lediglich fortgeschriebenen Zahlen zum Wohnungsbestand, stützen die Statistiker ihre Prognose jetzt auf den Wohnungsbedarf. Diesen leiten sie zum einen aus den Veränderungen der Strukturen privater Haushalte und zum anderen aus dem Ersatzbedarf für abgerissene oder umgewidmete Wohngebäude ab.

Das Ergebnis fassen die Autoren der Studie, Inge Heilweck-Backes und Ansgar Schmitz-Veltin, so zusammen: "Die durchschnittliche Personenzahl je Haushalt entwickelt sich seit 1992 rückläufig. Schreibt man diese Entwicklung linear fort, so ergibt sich, dass jährlich 1700 Personen nicht mehr in den bestehenden Haushalten/Wohnungen untergebracht werden können. Unterstellt man, dass jeweils 2,5 Personen eine neue Wohnung beziehen, müssten jährlich rund 700 zusätzliche Wohnungen geschaffen werden, um den Verdrängungseffekt auszugleichen." Hinzu kämen 600 Wohnungen, die nötig würden als Ersatz für abgerissene Altbauten. Dabei wird eine Abgangsquote von 0,2 Prozent des Wohnungsbestandes 2009 angenommen.

"Schätzung der Stadt ist nicht realistisch"

"Das ist falsch", sagt der Mieterverein und verweist auf die Statistiker des Landes, die für Stuttgart einen Ersatzbedarf von 0,45 Prozent des Wohnungsbestandes ansetzten. "Schon bei diesem Ersatzbedarf müssten allein 1350 Wohnungen pro Jahr für wegfallende Wohnungen neu gebaut werden", sagt der Vereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. Die neue Schätzung der städtischen Statistiker gehe an der Realität vorbei. Auch zeige sich in der Beratung des Vereins, dass Wohnungen nach wie vor knapp seien und die Mieten weiter steigen. So würden im Internet Innenstadtmieten von bis zu 13,50 Euro pro Quadratmeter ausgewiesen. "Das sind 15 Prozent mehr als noch vor einem Jahr", so Gaßmann. Allein die Wirtschaftskrise habe sich dämpfend ausgewirkt, was aber nicht als Trend verstanden werden könne.

Der Verein Haus&Grund dagegen fordert den Mieterverein dazu auf, "die Realitäten anzuerkennen und keine gefühlte Wohnungsnot heraufzubeschwören", so der Vorsitzende Klaus Lang. Es sei sogar eher von einer Über- als von einer Unterversorgung mit Wohnraum auszugehen. Die Berechnungen des Statistischen Amtes seien seriös, der Wohnungsmarkt ausgeglichen. "Es bedarf keines regulierenden Eingreifens durch die Stadt", betont der Vereinsgeschäftsführer Ulrich Wecker.

Familien ziehen ins Umland

Weniger gefallen dürfte der Stadt der Hinweis von Haus&Grund, dass Wohnungssuchenden "auch der regionale Wohnungsmarkt zur Verfügung steht, der sich zunehmend entspannt". Das Thema Wohnen höre ja nicht an der Gemarkungsgrenze auf. Darin aber sieht die Stadt ihr Problem, wegen der Steuerumlage pro Einwohner. Nach wie vor ziehen Jahr für Jahr vor allem viele junge Familien mangels bezahlbarem Angebot in Stuttgart ins Umland. Dagegen versucht die Stadt mit ihrer Zielvorgabe für Neubauten anzusteuern.

Wie lange das Ziel bei 1300 Wohnungen liegen wird, bleibt indes abzuwarten. Durch den Zensus 2011 wird der Gebäude- und Wohnungsbestand neu ermittelt. Die Daten sollen bis 2013 vorliegen. Dann könnte eine neue Wohnungsprognose wieder nach der klassischen Methode auf dem Wohnungsbestand aufbauen.