Knalltüten, Koalitionen und Katastrophen – ein nicht ganz ernst gemeinter Ausblick auf das kommende Jahr.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Der Kampf um die Macht ist das Lebenselixier der modernen Demokratie. Leider geht es im kommenden Jahr in Deutschland nicht um die Macht, sondern um eine Koalition, die niemand will. Nur gut, dass es die Bayern und einen Schlüsseldienst gibt. Ein satirischer Ausblick.

 

Januar

Bulgarien übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Der Ratspräsident, eine sympathische Nappalederjacke, verspricht in seiner Antrittsrede, die wichtigsten Strukturprobleme der Union gegen ein kleines Handgeld zu lösen. Der noch amtierende bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich in seinem Büro in der Münchner Staatskanzlei an den Schreibtisch gefesselt. Sein designierter Nachfolger Markus Söder versucht vergeblich, die Tür aufzubrechen. Die Grüne Woche lockt Hunderttausende mittelloser Menschen nach Berlin, die sich endlich einmal sattessen wollen. Die Politik spricht von einer humanitären Katastrophe.

Februar

Die Goldene Kamera wird verliehen. Sie geht an eine 432-teilige Serie mit lebenden Toten und Mysteriengedöns. Für den Einsatz am Set ist sie aber zu schwer. In Südkorea finden die Olympischen Winterspiele statt. Nordkorea will nicht tatenlos zuschauen und baut die größte Skisprungschanze der Welt. Die Springer können von dort aus fast alle Ziele im Süden erreichen, bekommen aber nur mäßige Haltungsnoten. Die Verhandlungen über die Bildung einer großen Koalition gehen in die entscheidende Phase. Martin Schulz fordert mindestens 20 Prozent Stimmanteil bei allen künftigen Wahlen. Die Union bietet zwölf und einen Heizkostenzuschuss für den nächsten SPD-Parteitag.

März

Markus Söder bohrt zwei Löcher in die Tür zum Büro des Regierungschefs. Bevor aber betäubendes Gas ins Innere geleitet werden kann, steckt Seehofer einen Rettich in die Öffnungen. In Berlin beginnt die Internationale Tourismusbörse. Armutsbesucher, die direkt von der Grünen Woche kommen, verbringen einen günstigen Jahresurlaub am Stand von Mecklenburg-Vorpommern.

April

Bei den Sondierungen für eine große Koalition raten Experten zur Sorgfalt, damit Deutschland möglichst lange unregiert bleibt. Der Fleischerverband Berlin lädt zur 16. Berliner Bratwurstmeisterschaft. Der Gewinnerin, einer mittelgroben Bratwurst mit feiner Körnung, winkt eine Karriere in der Berliner Kommunalpolitik. Horst Seehofer versucht Verbindung zu den oberbayerischen Gebirgsschützen aufzunehmen, die den Weg in die Staatskanzlei freikämpfen sollen.

Mai

In Lissabon beginnt der Eurovision Song Contest 2018. Deutschland verlangt eine angemessene Bewertung, die sich an seinen EU-Beitragszahlungen orientiert. Griechenland droht mit der Entsendung von Costa Cordalis. Das Finale der Champions League hat einen Gesamtwert von acht Billionen Euro. Die Fifa beantragt die Anerkennung des Fußballs als Weltreligion. Die Groko-Unterhändler nicken bei den Tagesordnungspunkten „Abschaffung sachgrundloser Befristungen“ und „Beitragsparität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern“ kurz ein. Ganz Deutschland ist leise.

Juni

Die Fußballweltmeisterschaft in Russland beginnt. Obwohl Putin den Einzug seiner Mannschaft in die K.-o.-Runde angeordnet hat, nimmt außer drei Männern in einem Wettbüro in Stawropol niemand davon Notiz. Die EU-Ratspräsidentschaft hat Bulgarien zum reichsten Staat Europas gemacht. Österreich übernimmt. Der blutjunge Bundeskanzler muss aber auf Auslandsreisen von seinen Eltern begleitet werden. Frauen dürfen ab sofort in Saudi-Arabien Auto fahren. Der Prophet weigert sich, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen.

Juli

Markus Söder lässt die Trinkwasserversorgung in der Münchner Staatskanzlei unterbrechen. Weil noch Augustiner im Kühlschrank steht, merkt das aber niemand. Pünktlich zum Ende der Fußball-WM in Russland brechen die ersten der eilig erbauten Stadien wieder zusammen. Aus den Trümmern werden Putin-Statuen geformt. Aus Anlass des 100. Geburtstags des schwedischen Filmregisseurs Ingmar Bergman gibt es eine kleine Sonnenfinsternis in den Herzen der intellektuellen Mittelschicht.

August

Martin Schulz erklärt die große Koalition für gescheitert. Bei der Frage der Gleichstellung der SPD mit anderen Splitterparteien habe es keine Annäherung gegeben. Die FDP kommt ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung nach und erklärt sich zu einer Regenbogen-Koalition aller Parteien bereit. Die Sondierungen finden im Berliner Olympiastadion statt. Bei der 245. Runde der Brexit-Verhandlungen in Brüssel trägt Theresa May noch einmal 23 ihrer schönsten Kostüme. Danach verliert sich ihre Spur.

September

Die Vorbereitungen für die bayerische Landtagswahl laufen planmäßig. Seehofer entscheidet sich für die Briefwahl und schiebt den Umschlag unter der Tür durch. Söder isst das Papier auf und droht mit dem Einsatz von Tornados. VW stellt einen Abgastest vor, der die Realität zu hundert Prozent abbildet. In dem Testwagen sitzt eine vierköpfige Familie auf dem Weg nach Süden. Es gibt Salamibrötchen und Johannisbeersaft, im CD- Player laufen die Bravo-Hits Vol. 23. Ein heftiger Streit um den richtigen Weg zwischen dem Fahrer und seiner Frau lässt den Kohlendioxidausstoß um das Vierhundertfache steigen. VW erklärt daraufhin, nur noch Einsitzer zu bauen.

Oktober

Der Schlüsseldienst „Albanexpert“ öffnet zum Festpreis von 2750 Euro die Diensträume Seehofers. Bei dem Handgemenge mit der Jungen Union erleidet Seehofer leichte Verletzungen und ist danach auf dem rechten Ohr taub. Die CSU spricht von einem geordneten und fairen Verfahren. Bei der Landtagswahl bleibt die CSU deutlich unter der angestrebten 90-Prozent-Schwelle. Söder flieht vor einem Mordkommando seiner früheren Anhänger unter die heimische Dachschräge. Horst Seehofer erklärt sich bereit, vier Jahre weiterzumachen.

November

Der 500-Euro-Schein soll verschwinden, ist aber zunächst nicht aufzufinden. Unter der Schreibtischablage des früheren bulgarischen EU-Ratsvorsitzenden wird man schließlich fündig. Die Allparteienkoalition in Berlin zerbricht an der Frage, ob in der Bundestagskantine künftig zwei fleischlose Gerichte gereicht werden sollen. Kurz aufkeimende Unruhe im Volk dämpft die Kanzlerin mit dem Satz: „Niemand hat die Absicht, eine Regierung zu bilden.“

Dezember

Bundespräsident Steinmeier ruft alle Deutschen auf, koalitionsfähig zu werden. Die erste Gesamtbevölkerungsregierung wird gebildet und einigt sich rasch darauf, dass alles bleibt, wie es ist.