Bei der Baden-Württemberg Stiftung sprechen Experten über Verkehr und Wohnen in der Stadt von morgen. Mehrfach wird die wachsende Bedeutung des öffentlichen Raumes betont.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Für Wieland Backes ist die Sache klar: er habe keinerlei Zweifel, dass die Zukunft der Menschen in urbanen Lebensformen liege. Auch die immer länger werdende Liste an Magazinen, die das Wort „Land“ im Titel führen, lasse ihn in seiner Ansicht nicht schwanken. „Die Frage ist nur: Ist die Stadt der Zukunft ein Traum oder ein Albtraum?“

 

Sich einer Antwort zu nähern, schickte sich eine von dem Fernsehjournalisten moderierte Runde von Experten an. In den Räumen der Baden-Württemberg Stiftung diskutierten vor gut 150 Zuhörern Marianne Reeb, Zukunftsforscherin bei Daimler, Andrea Bräuning, „Director Smart Cities“ bei Bosch, Matthias Schuler, Gründer der Firma Transsolar, Werner Sobek, Architekt, und Boris Palmer, OB in Tübingen.

Digitalisierung ist kein Selbstzweck

Ob denn die intelligente Stadt, die Smart City, wirklich dazu führe, dass das Leben ihrer Bürger angenehmer werde oder doch bloß Jobs koste, diskutierte die Runde. Dabei unterstrich Andrea Bräuning, dass die zunehmende Digitalisierung des täglichen Lebens kein Selbstzweck sei. „Die Qualität bemisst sich doch nicht an der Einführung des technisch Machbaren. Entscheidend ist der Nutzen für die Menschen.“ Der technologische Fortschritt solle auch helfen Räume, zu schaffen, wo Menschen sich begegnen können.

Eine stärkere Fokussierung auf den öffentlichen Raum forderte auch Matthias Schuler ein – mit einer überraschenden Begründung. „Die Städte von morgen müssen dichter werden“, sagte er und redete einem abnehmenden Platzbedarf jedes einzelnen das Wort. Wer aber im Privaten weniger Platz zur Verfügung habe, den ziehe es häufiger nach draußen. „Und dann muss die Qualität dort auch stimmen.“ Er widersprach der Annahme, eine stärker verdichtete Stadt müsse arm an Artenvielfalt sein. „In Berlin leben mehr Nachtigallen als in ganz Bayern.“ Bei der Nachverdichtung, oder eher bei deren Ausbleiben, scheint bei Tübingens OB Boris Palmer die Schmerzgrenze erreicht. Er kündigte an, Besitzer von baureifen Grundstücken, die nicht bauwillig seien, per Bescheid das Bauen anzuordnen. Die Grundlage dafür sieht er im Baugesetzbuch gegeben, das einer Gemeinde dieses Recht tatsächlich zubilligt. „Und in diesem Fall bin ich die Gemeinde“, gab sich Palmer entschlossen.

Serielle Fertigung im Wohnungsbau

Er ließ sich auch nicht durch Schulers Zwischenruf bremsen, bei allem Nachverdichten gelte es, eine gewisse Baukultur zu wahren. Werner Sobek warf ein, dass sich Gestaltungsfragen immer erst dann stellten, wenn ein gewisser Lebensstandard erreicht sei. Der Architekt warb dafür, beim Bauen der Stadt der Zukunft schonender mit den Ressourcen umzugehen. Beim Bau eines Einfamilienhauses fielen heute das 30- bis 50-fache des Jahresenergiebedarfs des Gebäudes an. „Da bringt es dann auch nicht entscheidend weiter, später am Energiebedarf des Hauses im Prozentbereich herumzuschrauben. Andrea Bräuning setzt auch im Hausbau auf serielle Fertigungsmethoden, wie man sie aus dem Automobilbau kenne.

Das Stichwort Auto brachte Backes dazu, bei Marianne Reeb nachzuhaken, wie lang ihr Arbeitgeber Daimler eigentlich noch gedenke, Verbrennungsmotoren zu bauen. Die Forscherin in Daimlers Diensten wies auf die immer noch bestehende Nachfrage nach dieser Antriebsform hin. Verbote bringen ihrer Ansicht nach nichts. „Ich bin vielmehr dafür, Anreize zu schaffen.“ Bei der Elektromobilität sei es ein wenig so wie bei Ketchup-Flaschen. „Jeder weiß, dass irgendwann etwas kommt und dann gleich eine ganze Menge. Aber niemand kennt den Zeitpunkt.“

Die Baden-Württemberg Stiftung hatte im vergangenen Jahr eine Studie vorgelegt, die verschiedene Szenarien entwarf, wie der Verkehr der Zukunft aussehen könnte – unter anderem forderten die Studienautoren eine drastische Reduzierung der Fahrzeugzahlen. Im StZ-Interview hatte Stiftungs-Geschäftsführer Christoph Dahl das Papier als „wissenschaftliche Faktenbasis“ gewürdigt, „die es in keinem anderen Bundesland gibt“ und die eine gute Diskussionsgrundlage sei.