Die Rundfunkräte der ARD protestieren zunehmend gegen das große Stühlerücken. Der WDR kritisiert die "vorschnellen Entscheidungen".

Stuttgart - Bei Kindergeburtstagen und Betriebsfeiern beschert die "Reise nach Jerusalem" immer wieder großes Hallo. Bei dem Spiel gibt es mehr Teilnehmer als Stühle; endet die Musik, steht einer ohne Sitzplatz da. Nun hat die ARD ihre eigene Variante ins Leben gerufen. Allerdings war man offenbar selbst überrascht, dass durch die Verpflichtung Günther Jauchs von Herbst 2011 an ein rechnerisches Problem entstanden ist: weil man entweder einen Moderator zu viel oder einen Sendeplatz zu wenig hat. Also musste ein großes Stühlerücken initiiert werden. Und damit im Gegensatz zu dem Gesellschaftsspiel am Ende keiner verliert, hat die ARD eine mittlere Programmreform in Gang gesetzt.

Nun hat zwar jeder ein Plätzchen gefunden, aber nur auf Kosten des dokumentarischen Sendetermins am Montag um 21 Uhr. In den verschiedenen ARD-Gremien sind die Maßnahmen prompt kritisiert worden. Einhellig wird zwar begrüßt, dass es endlich gelungen sei, die "Tagesthemen" einheitlich um 22.15 Uhr beginnen zu lassen; die Ballung von Gesprächssendungen könne jedoch "nicht widerspruchslos hingenommen werden", heißt es in einem Beschluss des MDR-Rundfunkrats. Während man sich beim SWR mit dem Thema nicht befasst hat, schloss man sich beim Hessischen Rundfunk der Haltung der MDR-Kollegen an: Die große Zahl von Talksendungen und den Verlust des Doku-Sendeplatzes sieht man mit Bedenken. Auch der Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks hatte die Änderungen bereits kritisiert.

Wurde eine Chance vertan?


Nun haben die Räte des WDR nachgelegt. Mit den "vorschnellen Entscheidungen zur zukünftigen Programmstruktur" sei eine Chance vertan worden, heißt in einer Erklärung. Der Rundfunkrat bedauert, dass angesichts der strukturellen Veränderungen nicht "grundsätzlich und ergebnisoffen" diskutiert worden sei. Die Mitglieder erwarten "klare und unterscheidbare Profile" der fünf Talkshows, die das "Erste" künftig sonntags bis donnerstags ausstrahlen wird. Sie fordern den ARD-Programmbeirat in ihrem Beschluss auf, die Formate intensiv zu beobachten und zu bewerten. In spätestens einem Jahr sollen die Intendanten das neue Sendeschema kritisch überprüfen.

Tatsächlich dürfte es für Günther Jauch (sonntags um 21.45 Uhr), Frank Plasberg (montags um 21 Uhr) und Anne Will (mittwochs um 22.45 Uhr) schwierig werden, einerseits zwar aktuelle gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen, sich aber andererseits deutlich voneinander abzusetzen. Das gilt erst recht für die Auswahl der prominenten Gäste, die schon jetzt nur wenig Spielraum lässt. Sandra Maischberger (wie gewohnt dienstags um 22.45 Uhr) und Reinhold Beckmann (künftig donnerstags um 22.45 Uhr), in deren Gesprächssendungen es mehr um Gefühle und weniger um Sachthemen geht, sind von solchen Fragen naturgemäß weniger betroffen.

Profiteure der Programmreform


Während sich die ARD also schon aus eigenem Interesse selbst auf die Finger schaut, muss sie sich bei den Dokumentarfilmen Einmischung von außen gefallen lassen. Die Ankündigung des Programmdirektors Volker Herres, man werde den Wegfall des Montagstermins mit den freien Sendeplätzen während der Talkshow-Sommerpause ausgleichen, hat nicht zur Beruhigung der kritischen Gemüter beigetragen.

Immerhin gibt es wohl auch Profiteure der ARD-Programmreform. "Report" (aus Baden-Baden und München) sowie "Fakt" litten montags um 21.45 Uhr oft unter den durchwachsenen Einschaltquoten der Dokumentationen. Die politischen Magazine wandern nun auf den Dienstag.

Dort müssen sie zwar fünf Minuten Sendezeit opfern, laufen aber um 21.50 Uhr im Anschluss an den ARD-Dauerbrenner "In aller Freundschaft". Die Unterhaltungsserie hat in der Regel über sechs Millionen Zuschauer. Einen besseren Vorlauf kann man sich kaum wünschen.