Die SpVgg Renningen will mit Hilfe eines Projektes mehr Aufklärung und Sensibilisierung im Verein erreichen.

Renningen - Lass den Kelch an uns vorbeiziehen.“ Diesen Gedanken hat Els Clausen, die Präsidentin der Sportvereinigung Renningen, wenn sie sich an die schrecklichen Taten erinnert, die in den vergangenen Monaten in verschiedenen Vereinen der Region ans Tageslicht kamen.

 

Im Frühjahr 2017 wurde bekannt, dass ein 62-jähriger Tischtennis-Übungsleiter des TSV Höfingen jahrelang Kinder sexuell missbrauchte. Die Anklage der Staatsanwaltschaft wenige Monate später lautet auf 16-fachen Missbrauch. Der Täter sitzt für dreieinhalb Jahre im Gefängnis.

Verhindern ist schwer, aber man muss es versuchen

Die Ermittlungen eines weiteren Falls in einem Verein in Korntal-Münchingenwurden im Februar 2017 aufgenommen. Hier wurde ein 19-jähriger Fußballtrainer angeklagt, weil er insgesamt 16 Kinder und Jugendliche im Alter von elf bis 14 Jahren sexuell belästigt und ihnen Pornofilme sowie Kinderpornos gezeigt haben soll.

Eine weitere Hiobsbotschaft kam in diesem Herbst aus Pattonville und Remseck. Dort soll ein 19-Jähriger in seiner Funktion als Fußball-Jugendtrainer in drei Vereinen minderjährige Jungen sexuell missbraucht haben. Beim Landgericht Stuttgart geht man von sieben Taten aus. Einen Teil der Vorwürfe hat der Ex-Trainer, der in Untersuchungshaft sitzt, zugegeben. Diese Straftaten haben alle – Eltern, die Verantwortlichen der Vereine sowie Sportler – schockiert und fassungslos gemacht.

„So etwas kann vermutlich nicht verhindert werden, aber wir können mit einem Präventionskonzept aktiv werden, um zu wissen, dass wir alles versuchen, damit so etwas nicht passiert und mögliche Täter abgeschreckt werden“, sagt Els Clausen.

Sechs Vereine in Region machen beim Projekt mit

Die Sportvereinigung Renningen ist einer von sechs Vereinen in der Region, der sich dem Pilotprojekt des Sportkreises Böblingen angeschlossen und ein Schutzkonzept zur Prävention von Gewalt und Missbrauch erarbeitet hat. Ebenfalls mit im Boot sind der TSV Höfingen, die Spvgg Weil der Stadt, der TSV Kuppingen als Vorreiter, die SpVgg Aidlingen sowie der TSV Grafenau.

Das Renninger Konzept steht. Mit Daniel Theinl, dem Geschäftsführer der SpVgg, haben Els Clausen und die Vorstandsmitglieder dieses in den vergangenen Monaten erarbeitet. Hilfe hierfür haben sie sich von Thamar, der Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt in Böblingen, geholt. Auf drei Seiten wird beschrieben, an welche Regeln sich Vereinsmitarbeiter – Trainer und Betreuer – die mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten, halten müssen. So ist es beispielsweise absolute Pflicht, dass sie, wenn sie eine Aufgabe übernehmen wollen, einen Ehrenkodex, den es bei der SpVgg Renningen schon seit dem Jahr 2011 gibt, unterschreiben.

Wichtig ist ein erweitertes Führungszeugnis

Neu ist das Einfordern eines erweiterten Führungszeugnisses oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung. „Das muss sein, auch wenn es nicht bei allen auf Gegenliebe stößt, wenn man quasi beweisen muss, dass man unschuldig ist“, sagt Els Clausen. Zudem wird der Verein künftig regelmäßig Informationsabende in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Thamar anbieten. „Damit wollen wir den richtigen Umgang mit Kindern und Jugendlichen fördern, um den sexuellen Missbrauch im Verein zu verhindern“, sagt Theinl.

Die Präsidentin Els Clausen, die früher selbst als Übungsleiterin viel mit Kindern zu tun hatte, weiß, dass die ehrenamtliche Aufgabe in Vereinen mittlerweile zu einer Gratwanderung geworden ist. Sie ist aber auch fest davon überzeigt, dass der soziale Aspekt nicht verloren gehen und sich die Arbeit nicht ändern wird und darf.

Noch mehr Sensibilität

„Wichtig ist, dass man noch mehr Sensibilität entwickelt, und manchmal muss man auch ein Kind trösten und auf den Schoß nehmen, wenn es mal einen schlechten Tag hat und sein Herz ausschütten möchte, das muss auch in Zukunft möglich sein“, sagt Clausen. „Man sollte sich eben auf sein Bauchgefühl verlassen und darf auch nicht immer nur Böses hinter allem vermuten.“

Was jetzt noch bei der Spvgg Renningen fehlt, sind Präventionsbeauftragte – eine weibliche und eine männliche Person. „Am liebsten wären uns Eltern, die sich bei uns im Verein engagieren“, meint Clausen. Diese beiden sollen künftig unter anderem vertrauensvolle Ansprechpartner für Betroffene und diejenigen sein, die etwas im Verein beobachten.

Sie halten Kontakte und Netzwerke zu Fachkräften der regionalen Sportbünde sowie anderen Fachstellen, die sich mit der Prävention und Intervention von sexuellem Missbrauch befassen. „Wir haben mehr als 2200 Mitglieder im Verein, da wird sich doch hoffentlich jemand finden.“ sagt Els Clausen.

„Wir sind Dienstleister zum kleinen Preis“

Verstärkt aktiv geworden nach den aktuellen Vorfällen in Höfingen, Korntal-Münchingen und Pattonville ist die Sportvereinigung Weil der Stadt, die sich wie die Kollegen in Renningen und Höfingen dem Präventionskonzept des Sportkreises Böblingen gegen sexualisierte Gewalt angeschlossen hat.

„Wir haben unter anderem eine Ethikordnung beschlossen, darin steht beispielsweise, dass alle Übungsleiter ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorweisen müssen“, sagt die Vorsitzende Ute Starz. Im kommenden Jahr 2019 sollen dann die Übungsleiter zu diesem Thema geschult und sensibilisiert werden. „Auch die Eltern wollen wir ermutigen, noch besser hinzuschauen, sie unter anderem darauf hinweisen, dass Übungsleiter nichts in den Umkleideräumen zu suchen haben.“

Engagieren will sich so gut wie keiner

Doch das Projekt läuft nicht ganz nach den Vorstellungen von Ute Starz. Auf der Suche nach zwei Präventionsbeauftragten in der 1750 Mitglieder zählenden Sportvereinigung hatte sie bislang nur einen kleinen Erfolg. „Wir haben alle Eltern angeschrieben und nur eine Person ist bereit, die Aufgaben eines Ansprechpartners zu übernehmen. Das ist sehr schade, denn so müsste der Gesamtjugendleiter eine weitere Aufgabe übernehmen, was eigentlich nicht im Sinne des Projektes ist.“

Es sei, so Starz, heutzutage sehr schwer, Personen zu finden, die auf ehrenamtlicher Basis im Verein mitarbeiten. Dafür hat die 55-Jährige allerdings wenig Verständnis. „Wir sind nur noch Dienstleister zum kleinen Preis, wo man die Kinder hinbringt und wieder abholt.“ Starz, die selbst durch ihre mittlerweile zwei erwachsenen Kinder zum Verein kam, seit langem im Vorstand mitarbeitet und vor fünf Jahren zur Vorsitzenden gewählt wurde, gefällt dieser Wandel in der Gesellschaft nicht. „Wenn wir ein Fest haben, backen die Eltern nicht mal mehr einen Kuchen, und im Falle einer Beitragserhöhung gibt es einen großen Aufschrei. Wir haben uns schon überlegt, ob wir das Modell der Arbeitsstunden einführen, um die Leute mehr in die Verantwortung zu nehmen.“ Zumal durch den Wegfall der Wehrpflicht dem Verein die Zivildienstleistenden fehlten, die in der Vergangenheit wertvolle Arbeit leisteten.

Auch der TSV Höfingen hat sich dem Projekt des Sportkreises zum Thema sexualisierte Gewalt angeschlossen. Der Schock sitzt noch tief nach den Geschehnissen im Verein. Der Vorsitzende des TSV, Ulrich Hoppe, wurde im wahrsten Sinne des Wortes überrannt, stand immer Rede und Antwort. Jetzt ist er froh, dass wieder etwas Ruhe im Leonberger Teilort eingekehrt ist. Eine Stellungnahme zu diesem Thema möchte er momentan nicht geben.

Kommentar: In der Pflicht

Der Schock sitz tief, wenn in einem Verein – ist es auch noch der eigene – ein Missbrauchsfall ans Licht kommt. So etwas muss aufgearbeitet werden. Und die Verantwortlichen in den Vereinen machen das Richtige, wenn sie ein Konzept erstellen, das künftig alle im Verein noch mehr sensibilisiert und sexualisierte Gewalt – hoffentlich – verhindern kann. Doch die Verantwortung darf nicht allein auf den Schultern der ehrenamtlich Tätigen in der Vereinsspitze lasten, die ohnehin schon mit ihrem Einsatz einen immensen Beitrag für das soziale Miteinander in der Gesellschaft leisten.

Auch die Eltern sind hier gefordert, sich einzubringen – schließlich sind es deren Kinder, die beschützt werden müssen. Umso wichtiger ist es, dass sich die Vereine auf engagierte Eltern verlassen können. Wer sonst hat mehr Bezug zu den Kindern?

Den Nachwuchs abliefern und nach dem Sport wieder abholen – darauf sollte sich das Vereinsleben nicht beschränken. Da ist das Unverständnis von Weil der Stadts Vorsitzender Ute Starz verständlich, die zu Recht beklagt, dass der Verein nur noch ein „Dienstleister zum kleinen Preis“ ist.