Blühwiesen verschwinden zwischen Agrarflächen und Asphalt. Doch im Rems-Murr-Kreis startet ein Projekt, das Hoffnung säen will – mit Saatgut, Beratung und lokalem Engagement.
Zwischen versiegelten Böden und intensiv genutzten Agrarflächen kämpfen sie ums Überleben: unsere letzten artenreichen Wiesen. Glockenblumen, Wiesenknopf, Salbei – sie blühen dort, wo noch Raum für Vielfalt bleibt. Doch dieser Raum wird immer enger.
Wie das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises mitteilt, startet der Landschaftserhaltungsverband (LEV) nun ein Projekt, das genau dort ansetzt, wo das stille Verschwinden beginnt: auf sogenannten FFH-Mähwiesen. Das Kürzel steht für die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU – ein zentrales Instrument des europäischen Naturschutzes. Sie schützt besonders wertvolle Lebensräume und Arten.
Mit kostenlosem, gebietseigenem Saatgut soll die Rückkehr der biologischen Vielfalt gefördert werden – ganz konkret, ganz pragmatisch.
Naturschutz vor Ort: Neue Initiative für FFH-Mähwiesen gestartet
Diese Wiesen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen unserer Kulturlandschaft. Doch der natürliche Samenaustausch – einst das Netzwerk der Natur – ist vielerorts abgerissen. Wo früher Insekten und Wind die Vielfalt trugen, bleibt heute oft nur Einheitsgrün zurück.
Das Projekt des LEV will genau diesen Kreislauf neu in Gang setzen. Besonders isolierte Flächen, die weit entfernt von artenreichen Wiesen liegen, sollen durch gezielte Nachsaat wieder Anschluss finden. Ein lokaler Impuls für ein globales Problem.
Finanzielle Unterstützung für mehr Blühwiesen im Kreis
Möglich macht das eine Förderung der Stiftung der Kreissparkasse Waiblingen. 3000 Euro fließen in hochwertiges Regiosaatgut, das kostenlos an engagierte Bewirtschafter:innen verteilt wird. Damit können rund 1,6 Hektar Wiesen wieder zum Blühen gebracht werden.
Und der Bedarf ist groß. Bereits im ersten Jahr wird der Saatgutvorrat voraussichtlich vollständig ausgeschöpft sein. Die Nachfrage zeigt: Das Interesse am Erhalt der Artenvielfalt ist da – es fehlte offenkundig nur das richtige Angebot.
Warum Regiosaatgut die einzige Wahl ist
Denn: Wer heute handelsübliches Grünlandsaatgut auf eine FFH-Mähwiese streut, richtet oft mehr Schaden als Nutzen an. Solches Saatgut verdrängt seltene Arten und zerstört langfristig die ökologische Balance dieser geschützten Biotope.
Zertifiziertes Regiosaatgut hingegen ist exakt auf das jeweilige Ursprungsgebiet abgestimmt – im Rems-Murr-Kreis das „Südwestdeutsche Bergland“. 42 gebietsheimische Arten wie Wiesen-Salbei, Schlüsselblume und Wiesen-Bocksbart bilden hier eine Mischung, die nicht nur schön blüht, sondern auch ökologisch stabil ist.
Gezielte Nachsaat statt großflächiger Eingriffe
Dabei geht es nicht um komplette Neuansaaten. Oft reicht es, einzelne Schadstellen – etwa durch Wildschweine oder Traktorspuren – punktuell auszubessern. War die Einsaat erfolgreich, breiten sich die Arten langsam über die gesamte Fläche aus.
Erfahrungen zeigen: Der Spätsommer oder Herbst sind dafür die besten Zeitfenster. Dann finden die Samen ideale Keimbedingungen, und die Natur hat den Winter über Zeit, um Kraft für das nächste Frühjahr zu sammeln.
Die Kurmanns aus Aspach machen es vor
Ein Beispiel aus der Praxis: Der Betrieb „Schafzucht Kurmann“ in Aspach-Altersberg war einer der Ersten, die das Angebot nutzten. Denise und Rainer Kurmann halten rund 130 Mutterschafe und bewirtschaften 20 Hektar Land im Nebenerwerb. Ihr Ziel: eine artenreiche Blühwiese wiederherstellen.
Ein Nebeneffekt der Schäferei: Die Samen bleiben im dichten Fell der Tiere hängen, wandern so von Wiese zu Wiese – ganz ohne Maschinen, ganz im Rhythmus der Natur. Die Kurmanns werden so zu stillen Verbündeten der Artenvielfalt. Oder, wie sie sagen: „Wir möchten die Kulturlandschaft bewahren – für kommende Generationen.“
Wiesenpflege ist Gemeinschaftsaufgabe
Genau auf solche Betriebe zielt das Projekt ab: Menschen, die Verantwortung übernehmen – nicht aus Profit, sondern aus Überzeugung. Denn ohne ihre Arbeit ist der Erhalt der Mähwiesen schlicht nicht machbar. Sie sind es, die Biodiversität auf dem Traktor oder zu Fuß pflegen.
Der LEV sieht sich dabei als Partner – nicht als Behörde. Das Ziel: unbürokratisch helfen, wo Bereitschaft besteht. Das Saatgut ist kostenlos, die Beratung individuell und persönlich.
Neue Ansprechpartnerin für alte Wiesen
Seit 2024 gibt es dafür eine zentrale Ansprechpartnerin: Lucy Hilsenbek. Als neue FFH-Mähwiesenberaterin begleitet sie Bewirtschafter:innen bei allen Fragen zur Pflege und Nachsaat. Sie kommt auf die Flächen, schaut hin, hört zu – und findet gemeinsam Lösungen.
„Die Nachfrage ist groß“, sagt Hilsenbek. „Viele wollen etwas tun, aber wissen nicht genau, wie. Wir helfen dabei, diese Lücke zu schließen.“ Eine Saat, die sich schon jetzt als fruchtbar erweist.
Blühende Hoffnung statt leiser Rückzug
Das Saatgutprojekt im Rems-Murr-Kreis ist klein, aber beispielhaft. Es zeigt, wie mit überschaubaren Mitteln Großes wachsen kann – wenn Menschen, Landschaft und Institutionen gemeinsam handeln. Gegen das Artensterben. Für die Rückkehr der Wiesenvielfalt.
Denn wer heute Vielfalt sät, erntet morgen mehr als nur Heu. Er bewahrt Lebensräume – und ein Stück Heimat.
Saatgut und Beratung für die FFH-Mähwiese
FFH
steht für Fauna-Flora-Habitat – eine EU-Richtlinie zum Schutz gefährdeter Arten und Lebensräume. Ziel ist ein europaweites Netzwerk von Schutzgebieten: Natura 2000. FFH-Mähwiesen gehören zu den artenreichsten Flächen unserer Kulturlandschaft. Sie werden nur selten gemäht, nicht gedüngt – und bieten bedrohten Pflanzen und Insekten einen letzten Rückzugsort.
Kontakt
für Saatgut & Beratung: Lucy Hilsenbek, FFH-Mähwiesenberaterin, LEV Rems-Murr-Kreis Telefon: 07151/501-2170 oder 0152/09357675, Mail: l.hilsenbek@rems-murr-kreis.de