Marcel Yousef hilft mit seinem Projekt Silberpfoten älteren oder kranken Menschen in Stuttgart bei der Versorgung ihrer Tiere. Dabei soll es nicht bleiben, wie er im Gespräch verrät.

Architektur/Bauen/Wohnen: Andrea Jenewein (anj)

Stuttgart - Weil immer häufiger Tiere ins Tierheim kamen, deren Besitzer sich altersbedingt nicht kümmern konnten, hat Marcel Yousef das Projekt Silberpfoten ins Leben gerufen. Nun ist der 39-Jährige mit dem Deutschen Ehrenamtspreis ausgezeichnet worden.

 

Herr Yousef, Sie haben offenkundig ein Herz für Tiere . . .

Ja, ich war immer schon sehr tieraffin. Und ich hatte das Glück, mit Tieren aufwachsen zu können. Wir hatten Katzen, Meerschweinchen und sogar mal Ratten – es war immer sehr lebendig in meiner Kindheit. Und sehr schön. Ich wollte immer einen Hund haben, habe aber meine Mama nie rumgekriegt. Zum eigenen Hund bin ich erst über meine Tierheimtätigkeit gekommen.

Derzeit haben Sie sogar zwei Hunde . . .

Ja, Maila und Lilou. Zur Lilou gibt es eine tolle Geschichte: Die ist so etwas wie ein Schützling von Frank Ribéry, dem Fußballspieler vom FC Bayern. Lilu wurde bei ihm in der Spielerkabine ausgesetzt, mit einem Brief: „Lieber Frank, bitte kümmere Dich um meinen Hund, ich kann ihn nicht mehr versorgen.“ Den Brief hatte ein geistesverwirrter Mann geschrieben, der sich von Marseille aus nach München aufgemacht hatte. Die Hündin kam erst in München ins Tierheim, dann in Botnang. Ich entdeckte sie in der Quarantäne und bin froh, dass sie da ist.

2014 haben Sie das Projekt Silberpfoten ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Wir hatten im Tierheim schlicht immer mehr Tierschutzfälle aufgrund altersbedingter Handicaps. Da galt es einfach, etwas dagegen zu unternehmen.

Ihr Ziel ist es, dass Mensch und Tier so lange wie möglich zusammenbleiben. Warum?

Für den Menschen ist das Haustier oft der letzte emotionale Halt. Der Partner ist meistens verstorben, die Freunde sind nicht mehr da, man ist ziemlich alleine. Der Hund ist ein guter Begleiter, ein toller Freund, der für einen da ist. Den will man nicht missen – schon gar nicht im Alter. Und das Tier will seinen geliebten Menschen und seinen Platz doch nicht verlassen, nur wegen ein paar altersbedingter Einschränkungen seines Frauchens oder Herrchens. Da ist es doch besser, wir geben ein bisschen Hilfestellung, und alles bleibt so, wie es ist.

Mit was für Mitteln können Sie helfen?

Da wir auf die Ressourcen Tierheim und Tierschutzverein zurückgreifen können, haben wir haben ein großes Repertoire, wie wir uns stark machen können – für Tiere und Menschen. Und mit Unterstützung vieler Ehrenamtlicher helfen wir beim Gassi gehen, beim Gang zum Tierarzt, mit Futtermitteln, beim Halten, Pflegen, Versorgen – also bei allem rund ums Tier.

Wie wird Ihr Projekt aufgenommen?

Das Projekt kommt richtig gut an, es wird unglaublich dankbar von der Gesellschaft angenommen. Es war uns am Anfang selbst nicht so bewusst, wie groß der Bedarf tatsächlich ist: Wir haben ja absolutes Neuland betreten. Aber wir werden eben alle immer älter. Schön ist, dass wir nicht nur den Tieren helfen, sondern auch den Menschen – und auch unsere vielen Ehrenamtlichen profitieren davon. Wir haben mit den Silberpfoten eine Win-win-Situation für alle geschaffen.

Um die Menschen ging es auch beim Deutschen Engagementpreis, bei dem Sie im Dezember in der Kategorie „Generationen verbinden“ gewonnen haben . . .

Da ging es um Hilfe überhaupt. Und eins ist klar: Es ist eine tolle Sache zu helfen, es ist bereichernd. Ja, helfen ist geil! Man kann ruhig ehrlich sein: Das ist ein Stück weit auch gesunder Egoismus. Es macht Spaß, anderen zu helfen, es ist ein tolles Gefühl.

Wie viele Ehrenamtliche beteiligen sich?

Aktuell haben wir über 1000 Ehrenamtliche, Tendenz steigend. Das hört sich nach unheimlich vielen an, aber ich will noch viel, viel mehr. Man darf eins nicht vergessen: Alleine in Stuttgart haben wir mehr als 612 000 Bürger, die hier leben. Da sind 1000 Ehrenamtliche ziemlich wenig. Zum Beispiel teilen sich das Gassi gehen immer mehrere Ehrenamtliche. Man braucht also viele Leute, um Hilfe leisten zu können.

Wie wichtig ist für die älteren Menschen der Kontakt zu den Gassi-Gehern?

Für die Senioren ist dieser soziale Kontakt meist sehr wichtig. Es geht oft schlicht darum, mal ein schönes Gespräch zu führen – denn sonst ist oft keiner da.

Wie vielen Menschen und Tieren konnten Sie schon helfen?

Wir haben aufgehört zu zählen. Fakt ist: Wir haben aktuell knapp über 100 feste Fälle, die wir längerfristig betreuen.

Was für Tiere betreuen Sie?

Wir betreuen alles, sogar Papageien – aber zum größten Teil haben wir Hunde und Katzen. Das sind die klassischen Haustiere. Für einen Senioren ist eine Katze optimal, weil der Pflegeaufwand nicht so hoch ist.

Es gibt aber Hunde- und Katzenliebhaber . . .

Ja, und natürlich muss man immer individuell den Menschen sehen – und dessen Situation. Wir haben sogar einmal einer über 80-jährigen Seniorin, Margit L., noch einen Hund vermittelt. Da haben alle zu mir gesagt: Mensch, bist Du verrückt! Aber ich habe mit ihr gesprochen und mit ihr geklärt, was mit dem Hund ist, wenn sie mal nicht mehr so kann oder nicht mehr da ist: Dann springen Ehrenamtliche ein oder ein Nachbar nimmt ihn. Erst dann habe ich ihr den passenden Schützling ausgesucht. Mittlerweile ist der Zwergpudel Laky das vierte Jahr bei Margit – er war neun, als er zu ihr kam. Sie ist sehr froh, dass sie ihn hat.

Wie finanziert sich das Projekt?

Wir finanzieren uns über Spenden, Erbschaften, Patenschaften. Der Träger des Projekts ist der Tierschutzverein Stuttgart.

Wo gibt es Grenzen, wo sagen Sie, hier können wir nicht helfen?

Es ist dann schwierig, wenn psychische Erkrankungen vorliegen und die Hilfestellungen nicht angenommen werden können. Dann haben wir keine Möglichkeiten. Auch bei einer Demenz geht es nicht.

Gibt es neue Pläne?

Wir wollen wachsen. Viele belächeln mich, aber ich sage immer: Wenn ich in Rente gehe, möchte ich mit den Silberpfoten in ganz Baden-Württemberg Hilfestellung geben können. Wir sind daran auszuarbeiten, wie wir das bewerkstelligen können. Denn bisher führe ich immer alle Beratungsgespräche – das geht dann natürlich nicht mehr. Der Plan ist deshalb, Silberpfoten-Beauftragte zu schulen, die vor Ort agieren können.

Das klingt nach viel Arbeit . . .

Ja, ich habe oft eine Sechs-, manchmal sogar Siebentagewoche. Aber ich mache das gerne. Ich habe meine Lebensaufgabe gefunden. Dafür bin ich dankbar.

Welchen Preis gilt es 2019 zu gewinnen?

Wir haben zwei der wichtigsten Preise schon bekommen, den Deutschen Tierschutzpreis und den Deutschen Engagementpreis. Wir sind gespannt, wie wir das noch toppen können.