Die einen wohnen nahe Tel Aviv, die anderen im Nordbahnhofviertel: Das Nachbarschaftsprojekt Glocals will erkunden, wie die beiden Stadtviertel zusammen arbeiten und voneinander lernen können.

Filderzeitung: Rebecca Anna Fritzsche (fri)

S-Nord - Am Anfang stand eine Idee: Künstler sind oft unterwegs, um sich mit Künstlern aus anderen Vierteln, Städten und Ländern zu treffen und auszutauschen und die jeweils anderen Netzwerke zu erforschen. Wäre es nicht interessant, das auch für andere Gruppen, ja für eine ganze Nachbarschaft zu tun?

 

Aus diesem Grund hat sich das interdisziplinäre und internationale Nachbarschaftsprojekt Glocals zusammengefunden: Sozialarbeiter, Architekten, Künstler und Nachbarn aus dem Nordbahnhofviertel und aus dem Viertel Jesse Cohen im israelischen Holon bei Tel Aviv. „An einen anderen Ort zu gehen und von den Menschen dort zu lernen, das funktioniert bei Künstlern sehr gut“, sagt Gilly Karjevsky. „Anderen Netzwerken würde das sicher auch gut tun.“ Karjevsky kennt das Nordbahnhofviertel bereits gut: sie ist Kuratorin und Mit-Initiatorin der Kunstaktion 72 Hour Urban Action, die 2012 dort haltmachte. Der Name Glocals ist eine Kombination des englischen Begriffs „locals“, also den Menschen vor Ort, mit dem Wort „global“.

Erkunden, was ein Nachbarschaftsprojekt erreichen kann

Über Karjevskys Kontakte zum Kunstverein in den Wagenhallen kam die Verbindung von Tel Aviv nach Stuttgart: Rund 15 Menschen haben die Gruppe Glocals gegründet. „Angefangen haben wir mit regelmäßigen Videotelefonaten über Skype“, erzählt Liv Prönneke, Anwohnerin des Nordbahnhofviertels. „Wir wollen unter anderem herausfinden, was eine solche Gruppe erreichen kann.“ Sie gibt zu: „Mit dieser wenig konkreten Formulierung ist manchmal schwer zu arbeiten, sie ist aber durchaus Absicht, um das Potenzial der Gruppe nicht von vornherein einzuschränken.“

Gute Aktionen vom Partnerviertel übernehmen

Im vergangenen Jahr waren die „Nordbahnhöfler“ in Israel, nun ist die israelische Gruppe nach Stuttgart gereist. Dort haben sie sich mit Künstlern im Viertel getroffen, Vorträge zur Geschichte des jeweiligen Quartiers angehört und auf Spaziergängen die Straßen erkundet. Jupp Klegraf, ehemaliger Bezirksvorsteher von Stuttgart-Nord und Vorsitzender des Infoladens Stuttgart 21 auf der Prag hat die Gruppe beispielsweise entlang der Stuttgart-21-Baustelle geführt, um zu demonstrieren, welchen Einfluss das Bahnprojekt auf das Viertel hat. Außerdem hat die Gruppe an der Stadtteilrallye teilgenommen, die als Eröffnung der Gesundheitswoche Nord von Jugendhaus und Haus 49 veranstaltet worden war. Hier habe sich auch gleich ein Ansatz ergeben, wie das Bestreben der Glocals in die Praxis umgesetzt werden könnte: „Es gibt Gedanken, eine ähnliche Aktion mit einer Jugendgruppe in Jesse Cohen zu veranstalten“, sagt Liv Prönneke. Weitere Ideen sind entstanden: „Die israelische Jugendgruppe veranstaltet jedes Jahr eine ‚Night of Survival’“, erklärt sie, „mit Feuermachen und Übernachten im Freien.“ Ähnliches ist für das Nordbahnhofviertel angedacht, und zwar auf der Nordlichtung, einer brach liegenden Fläche, die eine Gruppe Anwohner nutzen darf, bis der Eigentümer dort bauen lässt. „Es geht uns aber auch um die Theorie“, ergänzt Gilly Karjevsky, also darum, zu erforschen, inwieweit Projekte und Aktionen auf unterschiedliche soziale Strukturen übertragbar sind.