Jan Böhmermann hat sich im „ZDF Magazin Royale“ die Waldorfpädagogik vorgeknöpft. Boris Palmer und Veronika Kienzle, beide ehemalige Waldorfschüler, sind davon gelangweilt. Auch der Leiter der Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart hält dagegen.

Die Breitseite von Jan Böhmermann gegen die Waldorfpädagogik in der jüngsten Ausgabe seines „ZDF Magazin Royale“ hat sich zumindest bei zwei bekannten Grünen, die selbst Waldorfschüler waren, als Rohrkrepierer erwiesen. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer wie die ehemalige Stuttgarter OB-Kandidatin Veronika Kienzle reagierten, wie es für Böhmermann nicht schlimmer sein könnte: Alles olle Kamellen – komplett langweilig.

 

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Die auf das Werk von Rudolf Steiner zurückgehende und nach wie vor umstrittene Waldorfpädagogik ist immer wieder für einen Aufreger gut. In seiner jüngsten Sendung kritisierte Jan Böhmermann, der deutsche Staat unterstütze die Waldorfschulen jährlich mit mehr als einer halben Milliarde Euro, ohne genau zu wissen, was in den Schulen passiere. Waldorf-Ausbilder und Lehrer hätten überdies Kontakte in die Szene der Corona-Leugner. Und gewalttätigen Lehrern werde es offenbar erleichtert, unentdeckt zu bleiben. Böhmermann stützte sich dabei auch auf Recherchen des Online-Magazins „Krautreporter“.

Alles seit Jahrzehnten bekannt

Doch statt mit Empörung, reagiert Tübingens OB Boris Palmer mit verbalem Gähnen. „Ich fand die Sendung langweilig. Nichts Neues. Die ollen Kritikkamellen kenn ich schon seit meiner Schulzeit“, erklärte Palmer auf Nachfrage. Dabei hatte der bundesweit bekannte Grüne für die Sendung sogar eine besondere Rolle. Palmer ist offenbar so zugkräftig, dass Böhmermann das Magazin in den sozialen Netzwerken mit einem Foto von diesem und mit dem Text bewarb: „Wie kommt es, dass dieser Kerl so aufgeweckt und lässig drauf ist? Die (mögliche) Antwort gibt es morgen im #zdfmagazin“. Auch dass anders als vor Jahrzehnten nun das Thema Corona bei der Kritik der Waldorfschulen eine Rolle spielt, stimmte Palmer nicht milder: „Der Teil ist auch schon vor einem Jahr rauf und runter diskutiert worden. Böhmermann hat exakt null neue Informationen erzeugt. Das ist langweilig.“

„Enttäuscht“ äußerte sich auch Veronika Kienzle über die Sendung. Dabei ist die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte und ehemalige OB-Kandidatin, wie sie zugibt, „ein großer Fan von Herrn Böhmermann“. Doch diesmal hat es auch bei Kienzle nicht gefunkt. „Ich bin ratlos, was er damit sagen will“, erklärte sie auf Anfrage zu der Sendung. Böhmermann habe nur „die bekannten Stereotype wiederholt“. Diese seien aus ihrer Sicht aber von der Waldorfgesellschaft widerlegt und Teil der Selbstreflexion der Anthroposophie.

Die Waldorfschule als „Rettung“

So ist für Veronika Kienzle, die zwar eine Waldorfschule besucht hat, selbst aber nicht Anhängerin der Anthroposophie sei, klar, dass manches in den Werken von Rudolf Steiner „aus heutiger Sicht schwierig ist“. Es gebe „viele Kritikpunkte, das kann man so nicht stehenlassen“, betont Kienzle. In der Theorie aber möge manches Fragwürdige sein, sagt die Bezirksvorsteherin. Sie betont demgegenüber das Menschenbild der Waldorfschulen mit einer „menschen- und kinderfreundlichen schulischen Praxis“. Zu der gehöre es auch, die Kinder nach ihren Fähigkeiten zu fördern und nicht nur auf die Defizite zu schauen. Und was das ökologische Denken angehe, seien die Waldorfschulen schon früh vorbildlich gewesen.

Veronika Kienzle, die im Kuratorium der Waldorfschule Uhlandshöhe sitzt, hat diverse Erfahrungen mit Waldorfschulen gemacht. Sie selbst hat in Bremen eine besucht und sagt: „Für mich war die Schule die Rettung.“ Auch ihre Tochter hat die Waldorfschule in Stuttgart besucht, auf eigenen Wunsch. Zunächst sei die heute 28-Jährige auf einer anderen Schule gewesen, wollte wegen ihrer Freundinnen aber wechseln. „Sie hatte vom ersten bis zum letzten Tag eine gute und glückliche Schulzeit“, sagt Kienzle über ihre Tochter. Und den Zusammenhalt in der Klasse, der bis heute bestehe, habe sie bei keiner anderen Schule erlebt. Sie habe auch stets sehr engagierte Lehrer angetroffen in Waldorfschulen, sagt Kienzle. Aber natürlich gebe es an allen Schulen gute und schlechte Lehrer.

Bund der Waldorfschulen hat reagiert

Der Bund der Freien Waldorfschulen hat zu der Berichterstattung bereits Stellung bezogen. „Wir bekennen uns selbstverständlich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, die uns den Betrieb als Schulen in freier Trägerschaft erst möglich macht“, schrieb Vorstandsmitglied Nele Auschra in einer im Internet veröffentlichten Stellungnahme vom Freitag. Die Schulen seien verpflichtet, ein Schutzkonzept zur Gewaltprävention zu erarbeiten. In einer bereits am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme hieß es, Reichsbürger, Neue Rechte oder Anhänger von Verschwörungsideologien hätten in Waldorfschulen nichts zu suchen.

Auch der Schulleiter der Freien Waldorfschule am Kräherwald, Martin Laude, hat sich auf Anfrage zu den Vorwürfen erklärt. Er sagt, jede Waldorfschule sei „dazu verpflichtet“ ein Schutzkonzept für die eigene Schule zu erarbeiten. „An der Freien Waldorfschule am Kräherwald haben wir zudem seit vielen Jahren zwei Kindswohlbeauftragte, die regelmäßig auf Fortbildungen gehen und dazu beitragen, dass die Schule ein sicherer Ort ist“, betont der Schulleiter. Das Gewaltpräventionskonzept sei „wie der Eltern-Lehrer-Vertrauenskreis eine wichtige Säule der Präventions- und Interventionsarbeit“. Und als staatlich anerkannte Ersatzschule unterliege man „wie jede andere Schule der Schulaufsicht durch das Regierungspräsidium“.