Der Trend ist klar: alleine seine Doktorarbeit schreiben wie Annette Schavan, nur angeleitet vom Doktorvater, ist out. Ein Erfahrungsbericht.

Stuttgart - Annette Schavan hat ihre umstrittene Dissertation Ende der 70er Jahre geschrieben. Manche haben entschuldigend angemerkt, bei der Bewertung ihrer Arbeit müsse man die damaligen Standards berücksichtigen. Das hat Widerspruch herausgefordert: Die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens seien weder zeit- noch fachspezifisch. Dennoch hat sich beim Promovieren einiges geändert.

 

Als ich beschlossen hatte, eine Doktorarbeit zu schreiben, habe ich nicht – wie vielleicht Schavan – an der Bürotür eines Professors geklopft und gefragt, ob er mein Doktorvater werden möchte. Stattdessen habe ich ein zehnseitiges Exposé geschrieben und mich beim Promotionsstudiengang Literaturwissenschaft (abgekürzt: ProLit) an der Ludwig-Maximilians-Universität München beworben. Im Auswahlgespräch, zu dem ich glücklicherweise einige Wochen später eingeladen wurde, musste ich dann nicht nur einen, sondern gleich sechs Professoren davon überzeugen, dass meine durchaus wirren Ideen gefördert werden sollten.

Bald darauf war ich Mitglied von ProLit, einem strukturierten Promotionsprogramm. Das hieß, dass ich in den folgenden drei Jahren neben den üblichen Aufgaben, dem Verfassen einer Dissertation und deren Verteidigung, einige zusätzliche Hürden zu nehmen hatte. Dazu zählten vier arbeitsintensive Grundlagenseminare, die von insgesamt acht Professoren geleitet wurden; in den besten Momenten haben sie mir Aha-Erlebnisse beschert. Und ich musste einmal im Jahr mein Promotionsprojekt einem Plenum präsentieren, das sich aus rund 20 Doktoranden und bis zu zehn Professoren zusammensetzte – eine gute Gelegenheit, meine jeweils neusten Thesen auszuprobieren.

Promotionsprogramme schießen wie Pilze aus dem Boden

Ich habe in meiner Arbeit untersucht, wie in literarischen und wissenschaftlichen Texten über Nichtwissen geschrieben wird. Bei dieser Arbeit wurde ich großzügig gefördert. Meinen Mitstreitern und mir standen Mittel zur Verfügung, um in Eigenregie eine internationale Graduiertenkonferenz über Mehrsprachigkeit auf die Beine zu stellen; auch für eine anschließende Publikation der Konferenzbeiträge war Geld da. Zudem wurden Reisekosten zu Fachtagungen übernommen – für mich ging’s mehrmals nach Zürich, wo man an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Nichtwissen erforschte. Es wurden Weiterbildungskurse geboten, fachlich interessante Symposien durchgeführt und vor allem: drei Jahre lang wurde für meinen Lebensunterhalt gesorgt.

Dass man seit nunmehr zwölf Jahren bei ProLit promovieren kann, hat mit einer längerfristigen Entwicklung in der Hochschulpolitik zu tun. 1985 wurde an der Universität Köln das Graduiertenkolleg „Molekulare Biowissenschaften“ gegründet – das erste strukturierte Promotionsprogramm in Deutschland. Inspiriert wurde die Gründung von vergleichbaren Modellen in Großbritannien und den USA. Doktoranden sollten auf diese Weise besser in die Forschung eingebunden werden und schneller promovieren. Das hat offenbar geklappt, jedenfalls entsteht seit den frühen 90er Jahren ein Promotionsprogramm nach dem anderen. Der Wissenschaftsrat, der die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen wissenschaftspolitisch vertritt, empfahl 2002 sogar, die „strukturierte Ausbildung auf alle Promovierenden auszudehnen“ (PDF der Stellungnahme).

Ein großes Vorhaben: die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterhielt 2011 zwar schon 223 Kollegs mit 2896 Doktoranden, hinzu kommen Graduiertenschulen und die Promotionsstudiengänge (siehe nächste Seite). In der Literaturwissenschaft ist das Angebot mittlerweile sogar so groß, dass „die Konkurrenz um gute Doktoranden sehr hart geworden ist“, wie mir der Koordinator von ProLit sagte. Im Wintersemester 2010/11 gab es jedoch in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 185.800 Promovierende. Die allermeisten promovieren also noch im alten Stil.

Vom „Doktorvater“ spricht man nicht mehr so gerne

Über die näheren Umstände von Schavans Doktorandenzeit ist wenig bekannt. Sie war 25 Jahre alt, als ihr der Doktortitel verliehen wurde. Das scheint zumindest aus heutiger Sicht ziemlich jung. Das durchschnittliche Promotionsalter lag zuletzt bei 33,8 Jahren, bei ProLit liegt es bei etwa 30. Zudem weiß man, dass der Doktortitel Schavans erster Studienabschluss war. Heute müssen selbst akademische Überflieger einen Bachelor vorweisen, die grundständige Promotion wurde in den meisten Bundesländern abgeschafft. Einen Doktorvater zu haben wie Schavan ist auch nicht mehr überall die Regel. Bei ProLit zieht man es vor, von „Betreuern“ zu sprechen. Dabei stört nicht nur der patriarchale Klang der traditionellen Bezeichnung: Auch wenn man nach wie vor einen Hauptbetreuer hat, sind die Doktoranden aufgefordert, sich mit möglichst vielen Professoren auszutauschen. Im Laufe meiner Promotion äußerten sich ungefähr zwölf Hochschullehrer zu meinem Dissertationsprojekt; einige ziemlich kritisch. Es gab reichlich Anlass, die eigene Argumentation zu überdenken.

Kann man trotz einer solchen fachlich-institutionellen Einbettung plagiieren? Ich denke schon. Es ist bekannt, dass Karl-Theodor zu Guttenberg sein laufendes Dissertationsprojekt mehrfach zu präsentieren hatte – und dabei glänzte. Was nicht verwundern muss, da man in Vorträgen aus praktischen Gründen nicht jeden Querverweis ausdrücklich erwähnt. Zudem ist es beim Zuhören schwieriger als beim Lesen, wortwörtliche Übernahmen aus der Forschungsliteratur zu bemerken. Im Rahmen eines strukturierten Programms scheint Abkupfern allerdings vergleichsweise erschwert. Denn mit der Anzahl der betreuenden Professoren und Mitdoktoranden wächst die Wahrscheinlichkeit, dass eine heimliche Übernahme ganzer Argumentationsstränge auffällt. Zumindest das Fehlen einer eigenen These wurde im ProLit-Kolloquium häufiger angemerkt.

Plagiieren selbst war in meiner Zeit dort zweimal ein Thema. Während der Affäre um die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg hat der damalige Sprecher des Promotionsstudiengangs, Robert Stockhammer, einen öffentlichen Brief an das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft initiiert. Nachdem zu Guttenberg aus CSU-Kreisen verteidigt wurde, ließ Stockhammer im Namen von mehr als 70 Sprach- und Literaturwissenschaftlern der Universität München mitteilen: „Die Unterzeichneten möchten an der Universität weiterhin in der Lage sein, mit großer Strenge die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht nur selbst einzuhalten, sondern sie auch unseren Studierenden zu vermitteln. Wir halten dies nicht für eine parteipolitische Aufgabe.“

Auch ich finde es respektlos gegenüber den vielen Doktoranden, die sauber arbeiten, wenn systematische Betrugsversuche politisch bagatellisiert werden. Unter den ProLit-Doktoranden gab es noch einen anderen Fall, über den diskutiert wurde, der aber keine Konsequenzen nach sich zog: Eine Doktorandin hatte den Eindruck, dass sich ein auswärtiger Professor von ihrem Projekt etwas zu sehr inspirieren ließ. Auch wenn das schwer zu belegen ist, ist bei mir der Eindruck geblieben: nicht nur unter Promovenden gibt es schwarze Schafe.

Vier Modelle für die strukturierte Promotion

Graduiertenkolleg
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert Graduiertenkollegs für jeweils drei Doktorandengenerationen, also neun Jahre. Sie sind thematisch relativ eng fokussiert und meist interdisziplinär ausgerichtet. Die Doktoranden erhalten ein dreijähriges Stipendium in Höhe von etwa 1500 Euro im Monat.

Graduiertenschule
Im Zuge der Exzellenzinitiative hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft auch Graduiertenschulen bewilligt, die im Vergleich zu den Kollegs thematisch breiter angelegt sind. Momentan gibt es deutschlandweit 45 solcher Schulen. Die Universität Stuttgart hat eine für den Bereich intelligenter Fabriken eingeworben.

Promotionsstudiengang
Eigene Studiengänge für Doktoranden sind thematisch wenig festgelegt. Nicht alle bieten ihren Mitgliedern Stipendien an, manchmal sind die Doktoranden auch als wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt. Die Universität Hohenheim bietet etwa den Promotionsstudiengang Agrarwissenschaften an.

Max Planck Research School
Seit 2000 bieten Max-Planck-Institute in Kooperation mit Universitäten solche Schulen an. Zurzeit existieren 61 davon. Die Doktoranden erhalten Stipendien in Höhe von 1000 bis 1500 Euro im Monat. In Tübingen gibt es eine Schule in der Molekularbiologie.