Prostitution ist in Deutschland erlaubt. Die StZ-Titelautorin Hilke Lorenz positioniert sich kritisch zu dem 2002 verabschiedeten Gesetz und stellt das „Nordische Modell“ als Gegenentwurf vor.

Möhringen/Echterdingen - „In welchem Land lebe ich, in dem Männer Frauen kaufen können wie einen Cheeseburger?“ Das sagte die Titelautorin der Stuttgarter Zeitung, Hilke Lorenz, gestern beim Pressestammtisch der Filder-Zeitung und des Stadtseniorenrates von Leinfelden-Echterdingen. Ihr Thema: Prostitution – moderne Sklaverei. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Paradise-Prozess ziehen?

 

Der Ort und die Referentin passten lange nicht mehr so gut zusammen wie bei diesem Stammtisch. Fast in der Nachbarschaft zur Zehntscheuer befindet sich das Paradise. Nach Angaben der Betreiber soll es das größte Bordell Europas sein. Und Hilke Lorenz hat den sogenannten Paradise-Prozess monatelang als Rechts- und Gesellschaftsautorin begleitet. Der Bordellbetreiber Jürgen Rudloff ist im Februar 2019 zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Stuttgarter Landgericht sprach ihn wegen Beihilfe zum Menschenhandel und sexueller Ausbeutung sowie wegen Betrugs schuldig.

Nicht die Prostituierten, sondern die Freier bestrafen

Hilke Lorenz wies darauf hin, das Prostitution in Deutschland erlaubt ist. Im Jahr 2002 habe die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ein Gesetz verabschiedet, wonach die Sittenwidrigkeit der Prostitution abgeschafft wurde. Danach schließen Prostituierte mit ihren Freiern einen rechtswirksamen Vertrag ab und hätten im Gegenzug Zugang zur Sozialversicherung. Das sei das Ziel gewesen.

Die Referentin positionierte sich kritisch zu dem Gesetz. „Wenn es ein Gewerbe wie jedes andere ist, dann ist Prostitution auch ein Job wie jeder andere, und das ist eben nicht der Fall.“ Wenn eine Frau von elf Uhr morgens bis drei Uhr nachts anschaffen und den größten Teil des Geldes abgeben müsse, habe das nichts mit selbstbestimmter Arbeit zu tun: „90 Prozent der Frauen machen das nicht freiwillig.“ Als Gegenentwurf erläuterte Lorenz das sogenannte „Nordische Modell“, das in mehreren Ländern Europas gelte. Danach würden nicht die Prostituierten bestraft, sondern die Freier.

Warum gehen die Frauen nicht zur Polizei?

Meist kämen die jungen Frauen aus dem Ausland, etwa aus Rumänien, Bulgarien oder aus Südostasien. Sie seien dort mit fadenscheinigen Versprechungen angelockt worden. „Sie sprechen – wenn überhaupt – nur rudimentär Deutsch, und sie wissen oft gar nicht, in welcher deutschen Stadt sie sich befinden, weil sie von ihren Zuhältern permanent durch die Republik in jeweils andere Bordelle gekarrt werden“, sagte Lorenz.

Warum gehen die Frauen nicht zur Polizei, lautete eine Frage aus dem Publikum. „Man überlebt in diesem System nur, wenn man dessen Logik akzeptiert“, antwortete die Referentin. Außerdem könne Widerstand, Protest oder die Zusammenarbeit mit der Polizei für die jungen Frauen lebensgefährlich werden.

Die Szene sei nachweislich oft eng mit einem kriminellen Umfeld verbunden. Im Paradise-Prozess sei deutlich geworden, dass zum Beispiel die Rockergruppen Hell’s Angels und United Tribuns zum Teil brachial mit den jungen Frauen umgegangen seien.