Viele Prostituierte wohnen auch dort, wo sie arbeiten: im Bordell. Das erschwere den Ausstieg noch einmal zusätzlich, meint man bei der Caritas. Deren Gemeinschaftsstiftung will deshalb eine Wohnung finanzieren, in der die Frauen erst einmal unterkommen können.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Ihre früheren Freier würden Lilian (Name geändert) wohl gar nicht mehr erkennen. Seit sie nicht mehr als Prostituierte arbeitet, hat sie aufgehört, sich zu schminken und trägt unauffällige Klamotten, vor allem Jeans und Pullover. Die 21-Jährige soll laut ihrer Sozialarbeiterin sehr bemüht sein, einen Strich unter die Episode in ihrem Leben zu ziehen, in der ihre Arbeitskleidung aus Reizwäsche bestanden hat. Seit drei Monaten lebt sie in einer Wohnung in einem gutbürgerlichen Viertel von Stuttgart.

 

Ihre aktuelle Mitbewohnerin ist wie Lilian ebenfalls vorher anschaffen gegangen. Die Wohnung des Vereins Inga wird noch bis zum Sommer 2017 über Projektmittel finanziert. Sie ist das Vorbild für ein neues Projekt der Caritas-Gemeinschafts-Stiftung: über den Stiftungsfonds „Soziale Initiative Ergreifen“ soll eine Wohnung gekauft oder gemietet werden, die dann ebenfalls zur Übergangsheimat für ausgestiegene Frauen werden soll, in diesem Fall aber unbefristet finanziert. Maria Nestele, Leiterin des Fachdienstes Hilfen für Frauen bei der Caritas, hält solch ein dauerhaftes Angebot für sehr wichtig. „Die Frauen wohnen auch dort, wo sie arbeiten“, schildert sie die Situation, in der viele Prostituierte sind. Die Angst, kein Dach mehr über dem Kopf zu haben, sei deshalb ein Hemmnis auszusteigen. Momentan halte das Hilfesystem nichts für die Frauen bereit. Sie stammen größtenteils aus Osteuropa und sind nicht leistungsberechtigt: Ein Platz in der Frauenpension würde nicht refinanziert werden.

Rückgang des Straßenstrichs in den vergangenen Jahren

Wie die Wohnung des Vereins Inga soll auch die der Caritasstiftung den Übergang ins neue Leben vorbereiten helfen. Lilian und ihre Mitbewohnerin erhalten beispielsweise nur einen Mietvertrag für vier Wochen, der dann verlängert werden kann – und eigentlich die drei Monate nicht übersteigen soll. Bisher hat es bei den beiden allerdings noch nicht mit dem Auszug geklappt. Lilian hat zwar eine Arbeit als Servicekraft in einer Spielhalle gefunden, aber noch keine Wohnung. „Die Konkurrenz ist zu groß“, sagt die Sozialarbeiterin Charlotte Brunner, die Lilian und ihre Mitbewohnerin regelmäßig trifft. Sie arbeitet auch im Prostituiertencafé La Strada. „Der Gedanke auszusteigen ist bei vielen Frauen da, aber ihn auch umzusetzen, da sind die meisten nicht so weit“, sagt sie. Die meisten Frauen seien hier, um Geld nach Hause zu schicken. Über die Art und Weise, wie sie es verdienten, ließen sie ihre Familien im Dunkeln.

Die Polizei geht laut ihrer Prostitutionsstatistik von 450 Prostituierten aus, die täglich in Stuttgart arbeiten. Insgesamt sind 1409 Prostituierte im Jahr 2015 festgestellt worden. 1541 waren es im Vorjahr, 1682 im Jahr 2013. Der Rückgang des Straßenstrichs macht sich statistisch bemerkbar.

Den Familien zuhause wird nichts von der Arbeit im Bordell erzählt

Charlotte Brunner berichtet von einer Prostituierten, die regelmäßig Selfies vor einem Lokal mache, die sie nach Hause schicke, weil sie dort angeblich arbeite. Wenn sie ausstiegen, komme in den Familien erstmal kein Geld an. Auch vor den Fragen hätten die Frauen Angst. Drei Frauen hat Charlotte Brunner im vergangenen halben Jahr beim Ausstieg begleitet. Jeder Fall sei anders. Während Lilian sich sehr bemühe, sei zum Beispiel ihre Mitbewohnerin antriebslos und passiv. Neben positiven Erfahrungen werde es „auch Rückschläge geben“, sagt Maria Nestele realistisch über das Projekt. Sobald wie möglich soll gestartet werden – noch fehle es aber an zusätzlicher finanzieller Unterstützung durch Sponsoren oder Stifter sowie an einem geeigneten Objekt.

Das Projekt „Hilfen zum Ausstieg“ für Frauen in der Prostitution wird am Mittwoch, 16. November, im Café La Strada, Jakobstraße 3, von 19.30 bis 21 Uhr bei einem Diskussionsabend vorgestellt.