Schwarz-Rot hat sich vorgenommen, die Zwangsprostitution einzuschränken. Eine Regulierung ist auch nötig, weil die Franzosen künftig die Freier bestrafen wollen. Das florierende deutsche Bordellgewerbe dürfte damit noch weiter ausufern.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Passus auf Seite 104 des Koalitionsvertrags kommt eher harmlos daher: Dort bekunden Union und SPD den Willen, Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser zu schützen und die Täter konsequenter zu bestrafen. Das Aufenthaltsrecht der Armutsprostituierten soll ebenso verbessert werden wie ihre Betreuung – sofern sie in Strafverfahren gegen verbrecherische Zuhälter aussagen. „Wir werden das Prostitutionsgesetz umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten verbessern“, heißt es. Man wollte nicht nur gegen die Menschenhändler vorgehen, „sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich die Zwangslage der Opfer ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen“. Mit anderen Worten: ein Freier, der um das Schicksal der Sexverkäuferin weiß, soll zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Die Liberalisierung soll wieder zurück gedreht werden

Dies sind Absichtserklärungen, und dennoch feiern etliche Gegner der Prostitution den Koalitionsvertrag als Fortschritt. Klar ist damit, dass die Liberalisierung – die die damalige rot-grüne Bundesregierung in ihrer Reform von 2002 vorangetrieben hatte – wieder zurückgedreht werden soll. Wegen der Öffnung der Grenzen gen Osteuropa hatte sie eine verheerende Wirkung. Schon die alte schwarz-gelbe Regierung hatte dies versucht, war mit ihren Plänen aber kurz vor der Wahl im Bundesrat gescheitert. Rot-Grün gingen diese nicht weit genug.

Nun ist die FDP außen vor – und es geht offenbar voran. Das seit Wochen erkennbare Vorhaben von Union und SPD belebt mit erstaunlicher Dynamik die Diskussion um eine generelle Abschaffung von Prostitution, die zum Beispiel in diversen Fernsehtalkshows so strittig wie hochemotional geführt wird. Selbst Huren und Großbordellbetreiber kommen ausführlich zu Wort. Das frühere Tabuthema ist plötzlich alltagstauglich geworden.

Kritiker sprechen von „moderner Sklaverei“

Mittendrin agitiert Alice Schwarzer: Die Frauenrechtlerin hat ein Gespür für den günstigen Moment bewiesen, als sie Ende Oktober eine Kampagne gegen die Ausbeutung von Frauen startete. Ihren an die Bundesregierung gerichteten Appell unterstützen mittlerweile mehr als 8400 Menschen. Zu den Erstunterzeichnern gehören namhafte Persönlichkeiten aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Deutschland fördere mit der Prostitution die „moderne Sklaverei“, heißt es in dem Aufruf. Das Gesetz trage „die Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyistInnen“. Das ist auch starker Tobak, weshalb die an der damaligen Reform beteiligten Grünen – wie beispielsweise Irmingard Schewe-Gerigk – geradezu einen Kleinkrieg mit Schwarzer austragen.

Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen kämpfen für ein glattes Verbot von Prostitution. Pragmatiker sind der Ansicht: Es lässt sich nicht verhindern, dass Frauen ihren Körper verkaufen. Zu ihnen zählt Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. „Wenn man Prostitution schon nicht abschaffen kann, sollen die Frauen wenigstens unter menschenwürdigen Bedingungen – man kann fast sagen unter dem Schutz des Rechtsstaats – arbeiten“, sagt das CDU-Mitglied. Der Koalitionsvertrag ist für ihn noch nicht mehr als eine Absichtserklärung. Offenbar hätten die künftig Regierenden bisher keinen richtigen Plan, was zu tun sei. Auf den Bundesgesetzgeber zu warten, sei daher schwierig. „Wer weiß, was da kommt.“ Von Vorteil sei jedoch, dass es in der Diskussion noch Gestaltungsfreiheit gebe, und diese will man nutzen: mit einem Stuttgarter Weg gegen Armutsprostitution.

Stuttgart will das Sexgewerbe strenger regulieren

Am Donnerstag hat eine Arbeitsgruppe mit Schairer, der Sozialbürgermeisterin, der Gleichstellungsbeauftragten und dem Polizeipräsidenten ihre Beratungen darüber aufgenommen. Zunächst geht es um Schritte, die in Stuttgart möglich sind: Beratungs- und Gesundheitsangebote, erweiterte Ausstiegshilfen, Freierkampagnen, Aufklärungsarbeit in Schulen und rechtliche Maßnahmen. Einig ist man sich Schairer zufolge aber darin, „dass wir hier überwiegend nur Symptombehandlung machen“. Deswegen werde für den Gemeinderat eine Resolution erarbeitet. Darin wird der Bundesgesetzgeber aufgefordert, die Regelung von 2001/2002 zu überdenken, die nach Ansicht aller Fachleute dazu führe, „dass wir fast die schlechteste Lage in Europa haben“, so Schairer. Der Gemeinderat soll die Bundespolitik damit Anfang 2014 antreiben.

Vieles, was Experten von Polizei und Sozialverwaltung bundesweit für zwingend erachten, ist darin enthalten: etwa die Abschaffung des im Prostitutionsgesetz verankerten Weisungsrechts von Bordellbetreibern, um den Frauen ihre Selbstständigkeit zurückzugeben. Ferner soll der regelmäßige Gesundheitscheck wieder eingeführt werden, der früher als „Bock-Schein“ in der Szene bekannt war. Da es keine Meldepflichten für Prostituierte gibt, verlieren die Ordnungshüter den Überblick – selbst in Stuttgart, wo es eine Polizeidienststelle für Prostitution gibt. Also dringen sie darauf, die Frauen zu sehen zu bekommen, um sie zu Beratungsstellen zu schicken. Zudem sollen den Bordellbetreibern Meldepflichten zur Beschäftigung von Huren auferlegt werden. Auch wer in einer Wohnung oder auf dem Strich arbeitet, soll seine Tätigkeit anzeigen müssen. Hinzu soll eine Konzessionspflicht für Bordellbetriebe kommen.

Das Mindestalter soll auf 21 Jahre angehoben werden

Auch die Kondompflicht für Freier steht auf der Wunschliste, selbst wenn Verstöße nicht mit Bußgeldern bestraft werden. „Wir wollen eine Wertediskussion über die Würde der Frauen anstoßen“, sagt Schairer. Nicht zuletzt soll das Mindestalter auf 21 Jahren angehoben werden, weil die Menschenhändler vor allem 18- bis 21-Jährige aus osteuropäischen Ländern herbringen. Am 1. Januar kommt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren. Dann erhalten die Freier noch mehr Billigangebote.