In Schweden wächst der Verdacht, dass viele junge Flüchtlinge von Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen werden. Doch der Polizei fehlen offensichtlich die notwendigen Informationen.

Stockholm - Die Sozialarbeiter in einem Flüchtlingswohnheim in der Nähe von Malmö hegten schnell einen Verdacht: Immer wieder verließen jugendliche Asylbewerber, die ohne ihre Eltern nach Schweden gekommen waren, das Heim für ein paar Stunden. „Wenn sie dann zurückkamen, hatten sie oftmals schicke Kleider, eine Uhr oder sogar Geld bei sich“, erzählt Kristina Rosén, die in dem Heim arbeitet. Rosén und ihre Mitarbeiter sind sich sicher, dass die Jugendlichen sexuell ausgenutzt werden. „Die Kinder haben merkwürdige Telefonanrufe hier bekommen. So bekamen sie Kontakt zu ihren Kunden. Danach verschwanden sie und kamen ein paar Stunden später mit den Wertsachen zurück“, sagt sie.

 

Erste Kontakte nach der Einreise

Allein in der südschwedischen Region Skåne sind der Landesregierung in diesem Jahr 32 Fälle bekannt geworden, bei denen es sich vermutlich um Prostitution mit jugendlichen Asylbewerbern handelt. Erste Kontakte wurden teilweise bereits bei der Einreise nach Schweden geschlossen. Einige Jugendliche haben erzählt, dass sie schon am Hauptbahnhof in Malmö von Fremden angesprochen wurden, die ihnen ein Handy schenkten. So konnten die Menschenhändler später mit den jungen Frauen und Männern in den Asylbewerberheimen Kontakt aufnehmen und sie an Kunden vermitteln.

„Das passiert ständig. Die Jugendlichen werden von Männern zu ungewöhnlichen Zeiten abgeholt“, berichtet Lisa Green, die in der Region Skåne den Kampf gegen Menschenhandel koordiniert. Und dann fügt sie noch etwas Beunruhigendes hinzu. „Die Situation ist sehr ernst, und ich befürchte, es handelt sich um sehr viel mehr Fälle als die, die wir jetzt kennen“. Auch aus anderen Regionen wurden in den vergangenen Monaten ähnliche Fälle gemeldet. Schon im vergangenen Jahr kam ein Untersuchungsgericht zu dem Ergebnis, dass mindestens 210 jugendliche Asylbewerber in die Hände von Menschenhändlern gefallen sind. Die Asylbewerber selbst werden vom Personal der Wohnheime nicht zur Rede gestellt.

Behutsame Befragungen

Um die Betroffenen, die zum größten Teil während ihrer Flucht traumatische Erlebnisse gehabt haben, nicht zu verschrecken, wurden allerhöchstens sehr behutsame Befragungen durchgeführt. Insofern können die jungen Asylbewerber kaum etwas zur Aufklärung beitragen. Besonders betroffen sind Jugendliche, die allein nach Schweden gekommen sind. Da das Land gemessen an der Bevölkerungszahl mit 160 000 Flüchtlingen im vergangenen Jahr die mit Abstand meisten Asylbewerber aller EU-Länder aufgenommen hat, ist auch die Zahl der Jugendlichen, die ohne Familie nach Schweden gekommen sind, sehr hoch. Die Einwanderungsbehörde spricht von rund 30 000 allein eingereisten Jugendlichen.

Oftmals haben sie sich Menschenschmugglern anvertraut, die den Transport nach Schweden zunächst gratis oder für wenig Geld angeboten haben, jetzt aber eine Gegenleistung fordern. Patrik Cederlöf, der auf nationaler Ebene den Kampf gegen Menschenhandel und Prostitution leitet, glaubt, dass viele jugendliche Asylbewerber nicht nur zur Prostitution, sondern auch zum Betteln und zu kleineren Straftaten gezwungen werden. „Jugendliche Asylbewerber, die ohne ihre Familie nach Schweden flohen, sind in eine Abhängigkeitssituation geraten“, sagt er. „Das ist absolut nicht akzeptabel“.

Die Polizei weiß nichts davon

Trotz aller Empörung, tut sich die schwedische Polizei bei der Aufklärung bislang sehr schwer. Und es herrscht Verwirrung: Denn während die Sozialämter in Südschweden behaupten, sie hätten etwa 30 Fälle von vermuteter Prostitution von jugendlichen Flüchtlingen gemeldet, will die Polizei davon nichts wissen. „Dass es 30 bis 40 Anzeigen deshalb gibt, ist unwahrscheinlich“, erklärte der Malmöer Polizeichef Mats Berggren gegenüber der lokalen Presse. „Wenn wir konkrete Informationen darüber hätten, dass jugendliche Flüchtlinge sexuell ausgenutzt werden, würden wir diesen Fällen als erstes nachgehen. Aber wir haben solche Informationen nicht“, sagte er und betonte, dass die Aufklärung von Menschenhandel enorme Fahndungsressourcen erfordere – „Ressourcen, die wir derzeit nicht haben“.