Der Bundestag hat kurz vor der Sommerpause das Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten verabschiedet. Es soll nur ein Anfang sein – dennoch bringt es die Fachleute auf die Palme.
Stuttgart/Berlin - Gemessen an all den bagatellisierenden Berichten im Fernsehen und in den Printmagazinen gilt käuflicher Sex in Deutschland mehr und mehr als Lifestyle-Produkt. Vermeintlich seriöse Bordellbetreiber geben Transparenz vor, und junge Frauen präsentieren sich als hochmotivierte Sexunternehmerinnen. Stuttgart gerät da sogar in eine unrühmliche Vorzeigerolle. Etablissements wie der Sauna-Club Paradise in Echterdingen oder der nunmehr geschlossene Pussy-Club in Fellbach erwecken den Eindruck, als sei die Region ein Rotlicht-Eldorado geworden.
Doch die Realität ist alles andere als schick. „Etwa 90 Prozent der Frauen arbeiten in der Prostitution unter Zwang, aus Notlagen heraus oder scheinfreiwillig“, sagt Helmut Sporer von der Kriminalpolizei Augsburg, der seit 20 Jahren Erfahrungen mit Menschenhandel sammelt. Im typischen Hurenalltag dürfe die Frau oft nur einen Bruchteil ihrer Einnahmen behalten, sei isoliert, kenne keinen Arzt und keine Hygienestandards. „Sie ist von Tristesse gezeichnet und gibt weder TV-Interviews, noch tritt sie in Talkshows auf“, beschreibt Sporer.
Der Bundesrat soll am 20. September entscheiden
Der Kommissariatsleiter wurde vom Rechtsausschuss des Bundestages jüngst als Sachverständiger eingeladen, um das geplante Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels zu bewerten. Stunden vor der Sommerpause beschloss der Bundestag am 27. Juni den Entwurf mit der Mehrheit von Union und FDP. Nun ist der Ärger groß, weil das Gesetz nicht nur Teilen der Opposition, sondern auch vielen Fachleuten nicht weit genug geht.Von der Tagesordnung des Bundesrates wurde das Vorhaben vor einer Woche vorzeitig gestrichen. Dort hat Rot-Grün die Mehrheit, hätte es also blockieren können. Dann wäre das Gesetz im Vermittlungsausschuss gelandet – mit dem Risiko, dass in dieser Legislaturperiode gar nichts mehr entschieden worden wäre. Nun soll es am 20. September in der Länderkammer beraten werden, und Schwarz-Gelb hofft darauf, dass SPD-geführte Länder bis dahin doch noch einlenken.
Mit dem Gesetz will die Koalition strengere Vorschriften für die Bordelle erlassen. Über eine Änderung der Gewerbeordnung werden befristete Konzessionen eingeführt, die mit Auflagen verbunden oder versagt werden können. Auch in bestehenden Betrieben können die Gewerbebehörden Kontrollen und Zuverlässigkeitsprüfungen der Betreiber vornehmen, um menschenunwürdigen Bedingungen einen Riegel vorzuschieben. Zudem wurde eine Öffnungsklausel für Länder geschaffen, die noch mehr tun wollen.
Die Schattenseiten der legalen Prostitution
Seit vier Jahren sei er an dem Thema dran, schildert der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff (Rems-Murr), der für die Liberalen federführend beteiligt ist. „Bevor es wieder zerredet wird, möchte ich den Spatz in der Hand – um die Taube kümmern wir uns in Ruhe in der nächsten Legislaturperiode.“ Das vom Bundestag beschlossene Gesetz sei ein erster, wenngleich wichtiger Schritt. „Es reicht mir auch nicht“, sagt Wolff. Aber immerhin könne ein vielleicht sogar verurteilter Menschenhändler kein Bordell aufmachen.
Dennoch hagelt es Kritik. Gerade die Verlagerung auf die Gewerbeordnung ist umstritten. Kommissariatschef Sporer bemängelt, dass „aus Zuhältern, Halbwelttypen und Angehörigen von Rockergruppierungen nicht automatisch brave Geschäftsleute werden“. Er hält es für unvorstellbar, dass statt der Polizei Angestellte des Gewerbeamtes Missstände in Bordellen aufdecken. Dazu seien Eingriffsrechte nötig, die die Möglichkeiten des Gewerbeamtes „weit übersteigen“.
Nur unter Zeugenschutzprogrammen gebe es Aussagen
Der Bund der Kriminalbeamten und Frauenschützer monieren, dass für den Opferschutz nur Mindeststandards gelten. So erhielten die Frauen aus sogenannten Drittstaaten, die im Strafverfahren gegen Zuhälter aussagen, im Anschluss kein gesichertes Aufenthaltsrecht, sondern würden abgeschoben. Auch Wolff plädiert für eine „vernünftige aufenthaltsrechtliche Regelung, damit die Opfer stabilisiert werden“. Die Frauen müssten aus den Fängen der organisierten Kriminalität herausgeholt werden. Es dürfe nicht sein, dass sie illegal hergeholt werden, um bei Bedarf von den Menschenhändlern bei der Ausländerbehörde angezeigt und von dieser abgeschoben zu werden. Schon wegen der strafrechtlichen Verfolgung der Kriminellen dürften die Frauen nicht bis zum Verfahren ausgewiesen werden. Nur unter Zeugenschutzprogrammen gebe es vernünftige Aussagen.
Die Frauen sollen „heraus aus dem Dunkel des Illegalen“
Da wird sich die CDU noch bewegen müssen. Andererseits drang die Union vergeblich auf eine Verschärfung des Strafrechts im Falle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, was den innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, zur Kritik am FDP-geführten Justizministerium veranlasst. Zudem forderte der größere Koalitionspartner eine Strafbarkeit für Freier. Dagegen wandte sich wiederum die FDP – wie auch die Teile der Grünen, die die Liberalisierung unter Rot-Grün im Jahr 2002 verteidigen. „Das lehnen wir ab, weil das Gewerbe dann wieder in das Dunkel des Illegalen ausweichen würde“, sagt Wolff. „Wir wollen es auch zum Schutz der Frauen legal und besser kontrollierbar machen.“ Einerseits die selbstbestimmte Ausübung des Gewerbes zuzulassen, andererseits sicherzustellen, besser an Menschenhändler heranzukommen, sei juristisch aber nicht einfach.
Somit dürfte Deutschland weiterhin als Paradies für Freier gelten. Aus strenger regulierten Nachbarländern kommen sie in Scharen, um sich hier zu vergnügen. Denn nirgends sonst in Europa ist es so einfach, Sex zu kaufen.