Stuttgart Zoff um des Zoffs willen? Keineswegs! Protestler im Ländle suchen eher den Schulterschluss der Akteure und peilen auch das Gemeinwohl an. So das Ergebnis eines Talks in der „Protest“-Ausstellung im Alten Schloss.

Wird in Baden-Württemberg besonders gerne protestiert? Gibt es hier besonders viele „Beweger und Bewegte“? Diesen Fragen stellte sich eine Talk-Runde zur Landesausstellung „PROTEST! Von der Wut zur Bewegung“ im Alten Schloss.

 

Dafür bot das Podium Protest-Ikonen wie den Publizisten Peter Grohmann und Gottfried Härle auf, den Pazifisten aus dem Allgäu, nebst dem hiesigen Grünen-Urgestein Rezzo Schlauch. Flankiert wurde das Trio von wissenschaftlicher Protest-Expertise des Politikwissenschaftlers Sebastian Haunss und der Tübinger Historikerin Laura Boga.

Mit der Losung „Jeder kann etwas bewegen, wenn er sich bewegt“ setzte Moderatorin Dunja Hayali sogleich das positive Vorzeichen vor das Protestthema, wollte zudem „mit dem Blick ins Kleine anfangen“, als sie Personen in der ersten Reihe fragte, wann und weshalb sie zuletzt protestiert hatten.

Wyhl als Geburtsstunde großer Protestbewegungen

Das Podium aber war postwendend bei den „großen Dingern“ der Thematik. Allen voran Schlauch, der sogleich auf Wyhl zu sprechen kam, wo anhaltender Protest in den 1970er-Jahren den Bau eines Atomkraftwerks verhindert hatte. Wyhl sei „eine der Geburtsstunden“ großer Protestbewegungen in ganz Deutschland gewesen. Dabei seien die Badener aufgrund ihrer Erfahrung mit der 1848-er Revolution „heftiger unterwegs gewesen“.

Ein „bisschen Mentalitätsgeschichte“ sei auch beim Protest gegen Stuttgart 21 im Spiel gewesen, befand Härle, wobei Grohmann assistierte. Die Heftigkeit des Protestes resultiere darin, „dass es nicht nur um einen Bahnhof, sondern um die Zerstörung eines Parks und einer Stadtstruktur gegangen ist, wo nun das Entrée in die Stadt unter die Erde versenkt wird“. Mentalität habe auch beim Protest gegen die Daimler-Testgelände am Boxberg eine Rolle gespielt, ergänzte Schlauch. Dort sollten „Bauern mit bestem Ackerland enteignet werden“, und der Schwabe sei sensibel, wenn es um sein Eigentum ginge.

Von Bedeutung, so die Runde, sei auch die „gewerkschaftliche Mobilisierung“ gewesen, sowieso „die Verzahnung mit der Gesellschaft, etwa mit Milieus der Uni-Städte“. Auch in Wyhl sei der Protest „aus der Mitte der Gesellschaft“ gespeist worden. Dabei setzte Schlauch ein spezielles Denkmal, verbunden mit einem Seitenhieb gegen jüngste Bauernproteste: „In Wyhl waren die Frauen prägend. Sie haben den Platz besetzt und die Sache nicht mit Monstertraktoren, sondern mit ihrem Body gegen Wasserwerfer verteidigt“.

Protest im heißen Herbst: Menschenkette von Stuttgart nach Ulm

„Wasser in den Wein gießen“, gegen die angenommene landestypische Besonderheit des Protestes, wollte Sebastian Haunss. Dem widerspreche eine vielfältige, einen breiten Themenfächer betreffende Protestkultur in der ganzen Republik, empirisch belegt qua Auswertung von 20 Jahrgängen von Lokalzeitungen: „Überregionale Bedeutung gewinnen Protestbewegungen dann, wenn es um Infrastruktur in Verbindung mit Öko-Themen geht. Oder um Rechte von Minderheiten in der Gegenwehr gegen Rechts.“

Breiten Raum nahm auch die Friedensbewegung ein, speziell die Menschenkette von Stuttgart nach Ulm im heißen Herbst 1983. Der Erfolg, so Mitorganisator Härle, sei letztlich dem Schulterschluss ganz unterschiedlicher Gruppen „von links bis stockkonservativ“ zu danken gewesen.

Menschenkette von Stuttgart nach Ulm – hier auf der B10 bei Plochingen. Foto: dpa/Roland Holschneider

Auch Fridays for Future habe lange Zeit „breite Unterstützung“ gefunden. Zornig machte Grohmann der Umgang mit dem „radikalen Protest“ der „Klimakleber“ der Letzten Generation: „Wir sind feige. Wir wollen nicht realisieren, dass alles noch viel schlimmer kommen wird,“ worauf die „Anschlussfähigkeit“ von Protestbewegungen thematisiert wurde. Erfolgreich sei Protest dann, wenn es nicht nur gegen etwas gehe, sondern auch das Gemeinwohl eine Rolle spiele. So zu Jahresbeginn bei den Demonstrationen gegen Rechts. Hier sei „die liberale Demokratie, unser westlicher Lebensstil und Weltoffenheit“ verteidigt worden: Ein finaler Konsens, der mit viel Beifall bedacht wurde.