Demonstrationen wie jetzt gegen den G-20-Gipfel in Hamburg sind legitim. Doch der Rechtsstaat darf vor Krawall und Gewalt nicht kapitulieren, meint StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Heute soll Hamburg zur Hölle werden. Das kündigen zumindest die Aktivisten eines Protestbündnisses an, das für den Nachmittag zu einer Demonstration gegen den Aufmarsch der Mächtigen dieser Welt in der Hansestadt aufgerufen hat. „Welcome to hell“, lautet ihr doppeldeutiges Motto, „Willkommen in der Hölle“. Für höllische Verhältnisse, so die alternative Lesart, sorgten Angela Merkel und ihre Gäste, denen alles Elend auf dem Globus angelastet wird. Den Herrschaften soll ordentlich eingeheizt werden. „Molotowcocktails statt Sektempfang“ verheißen einschlägige Parolen im Internet.

 

Es gibt tatsächlich wenig Gründe, Leuten wie dem America-first-Präsidenten Donald Trump, seinem russischen Kollegen Putin und dem türkischen Neosultan Erdogan einen roten Teppich auszurollen. Was ist von diesem Gipfeltreffen zu erwarten, bei dem Autokraten, nationalistisch inspirierte Egomanen, Scheindemokraten und korrupte Potentaten auf Kosten der deutschen Steuerzahler dinieren? Müssen wir einem solchen Spektakel der Machtinszenierung eine Plattform bieten? Sind solche Mammutkonferenzen nicht ohnehin reine Show? Überwiegt die schiere Provokation nicht jeden Ertrag? Und warum verziehen sich Merkel & Co. nicht wenigstens an einen abgelegenen Ort, der mit weniger Aufwand zu schützen wäre?

Megaprobleme sind nicht in Zwiegesprächen zu lösen

G 20 ist weder eine Zauberformel noch ein Fluch: Es handelt sich um ein Netzwerk von Staaten, die gemeinsam über Herausforderungen beraten, welche kein Land der Welt alleine bewältigen kann. Wie die Binnenverhältnisse in diesen Staaten sind und mit welchem Sündenregister im Gepäck die jeweiligen Regierungschefs anreisen, muss für diesen Moment unbeachtet bleiben. Im Vordergrund steht die Absicht, kollektive Lösungsansätze auszuloten. Dazu gibt es keine Alternative – was gerade einem kritischen Milieu einleuchten sollte, das den Nationalismus und einseitige Großmachtpolitik zu Recht verdammt.

Hier geht es zum News-Blog zum G20-Gipfel.

Natürlich wird an diesem Wochenende weder der Nahostkonflikt gelöst noch die Syrienkrise beigelegt, es wird auch danach noch Hunger, Armut und Ungerechtigkeit geben. Dennoch sind solche persönlichen Treffen wichtig. Es ist besser, Auge in Auge miteinander zu reden als bloß übereinander. Keine Videokonferenzen, keine Telefonate, keine Twitter-Botschaften können dieses kollektive Palaver ersetzen.

Das Demonstrationsrecht ist kein Gnadenerweis, aber auch kein Friebrief für Krawall

Was die pragmatischen Einwände angeht: Für 6000 Konferenzteilnehmer gibt es auf Nordseeinseln oder in entlegenen Alpentälern schlichtweg nicht genügend Hotelbetten. Und war der G-7-Gipfel im luxuriösen Bergschloss Elmau vor zwei Jahren etwa basisdemokratischer, transparenter oder mehr im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit, die sich ins Abseits gedrängt fühlt? Den Herren Putin, Erdogan und Trump ist durchaus zuzumuten, dass sie unmittelbar mitbekommen, wie beliebt sie und ihre Politik sind. Wenn der Unmut nicht gerade zur Hölle ausartet, taugt das als Anschauungsunterricht für einen rechtsstaatlichen Umgang mit Opposition. Wegen des Volkszorns aus den Metropolen zu fliehen wäre jedenfalls eine Art Kapitulation vor einer Minderheit von zweifelhafter demokratischer Legitimation.

Die Konfrontation mit einem Teil der Demonstranten erklärt sich aus dem linksradikalen Revoluzzertum, das in manchen Stadtvierteln Hamburgs zu Hause ist. Die Stadt selbst ist daran aber nicht ganz unschuldig. Bei einem solchen Spektakel muss es auch für friedlichen Protest Aktionsräume und Übernachtungsplätze geben. Mit schierer Verdrängungspolitik lassen sich Konflikte nicht aus der Welt schaffen. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gilt nicht nur für Staatsmänner, sondern auch für Demonstranten. Es ist weder Ausnahmetatbestand noch Gnadenerweis. Aber auch kein Freibrief für Krawall. Hamburg darf nicht zur Hölle werden.

Auch aus der Region Stuttgart sind Menschen zum G20-Gipfel gefahren, unter anderem mit einem Sonderzug. Wir waren beim Halt des Zuges in Kornwestheim dabei und haben mit den Leuten am Bahnhof gesprochen: