Seit Tagen ist in der Stuttgarter Kulturszene die Empörung groß gegen eine Anfrage der AfD zum „Ausländeranteil“ an den Bühnen. Nun haben Hunderte im Schlossgarten gegen diese Politik demonstriert.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Natürlich könnte man auch ganz anderer Meinung sein: Seit vier Tagen empört sich ein großer Teil der Stuttgarter Kulturszene über eine Anfrage der AfD-Landtagsfraktion an die Landesregierung. Die „Alternative für Deutschland“ will wissen, wie viel Nicht-Deutsche allabendlich auf den staatlich verantworteten Bühnen des Landes stehen. Rainer Balzer, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, sagt dazu, man wolle dadurch Informationen gewinnen, ob womöglich die Künstler-Ausbildung in Deutschland qualitativ nicht gut genug sei und junge deutsche Künstler deshalb unter Wettbewerbsnachteilen litten.

 

Man kann sehr skeptisch sein, ob Balzer das wirklich so meint, wie er es sagt. Man kann der AfD deutlich schlimmere Motive für ihre Anfrage unterstellen, zum Beispiel den Versuch, nun auch in der Kultur einen Gegensatz zwischen „deutschen“ und „ausländischen Künstlern“ aufbauen zu wollen. Aber selbst, wenn man das glaubt, hätte man den Ball in diesem Spiel flach halten können. Und wie zu hören ist, wären das zuständige Kunstministerium im Mittnachtbaut und das Staatstheater Stuttgart am Eckensee auch gern so verfahren. Man hätte, das ist nun mal die Pflicht der Exekutive gegenüber der Legislative, ein paar Zahlen zusammengestellt, diese dann aber in so nichtssagende Antworten verpackt, dass kein Mensch daraus irgendetwas Böses hätte schließen können. Keine Frage: Die Ministerien dieses Landes, egal, von welcher Partei geführt, wissen, wie man so die Kleinen Anfragen dieser Welt ins Nichts verpuffen lassen kann.

„Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen“

Aber würde das in diesen Zeiten noch reichen? „Wir können uns nicht mehr leisten, Zeit zu verlieren im Kampf gegen die Rechten, die Völkischen, die Nazis“, ruft der Stuttgarter Autor Joe Bauer, langjähriger Kolumnist der „Stuttgarter Nachrichten“, am frühen Samstagnachmittag im Schlossgarten. Diese Kleine Anfrage sei die Munition im „gezinkten Kulturkampf der Rechten“. Sie wollten Schritt für Schritt „Gesellschaft und Kultur vereinnahmen“, um ihre „verbrecherischen Machtfantasien“ zu verwirklichen. Und der Beifall einer viele hundert Menschen großen Demonstrantenmenge – die Polizei spricht von 400 Teilnehmern, die Veranstalter von 1000 – ist riesig und sehr lang an solchen Stellen.

„Schützt die Kultur vor den Rechten“ lautet das Motto dieser Kundgebung, die Bauer in wenigen Tagen organisiert hat, gestützt von enormer Empörung und Unterstützung in den sozialen Netzwerken. Am Staatstheater würden „Listen mit den ausländischen Künstlern“ erstellt, heißt es – das Staatstheater selbst widerspricht übrigens der Darstellung, mit „Listen“ gearbeitet zu haben. Aber die Vorstellung, dass im Ensemble des Opernhauses nach nicht-deutschen Nationalitäten gefahndet werden muss, empört auch den Intendanten Viktor Schoner. Zur Kundgebung im Schlossgarten spricht er ein kurzes Grußwort, bedankt sich für die öffentliche Unterstützung. Die Sopranistin Diana Haller, einer der Stuttgarter Stars und gebürtige Kroatin, trägt eine Arie bei. Der ganze Opernchor ist noch dazu angetreten und singt den Gefangenenchor aus „Nabucco“: „Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen“. Dazu schwenken die Demonstranten Europa- und Regenbogenfahnen; Grüne, SPD, Linke und die Veranstalter vom Christopher Street Day sind präsent.

Erinnerungen an den Kulturkampf in der Weimarer Republik

Das Bündnis, das sich hier versammelt hat, ist schon ungewöhnlich: Nicht immer sind das kleine Theater Rampe, das Theaterhaus Stuttgart oder der Württembergische Kunstverein so gut Freund mit den Staatstheatern, die ihrer Meinung nach deutlich zu viel und sie selbst deutlich zu wenig öffentliche Zuschüsse bekommen. Aber hier an dieser Stelle herrscht eine geradezu grimmige Einigkeit – und man ahnt, dass der Mord von Kassel an Walter Lübcke wesentlich zu dieser Stimmung beigetragen hat: „Wir stellen uns vor das Staatstheater“, sagt Martina Grohmann, die „Rampe“-Intendantin. „Die Vielfalt an unseren Theatern ist schließlich nur Ausdruck der Realität in unserer Gesellschaft“. Eindringlich beschreibt Klaus Schrankenmüller vom Personalrat des Staatstheaters, wie sehr ihn die Vorgänge rund um die AfD-Anfrage an die Anfänge der Kulturhetze der Rechten gegen die freie Kunst am Ende der Weimarer Republik erinnern: „Auch damals wurden die Bühnen gefragt, welche undeutschen Künstler an ihnen tätig seien“. Und Hans D. Christ, Chef des Kunstvereins, erinnert an das warnende Beispiel des Demokratieabbaus in Ungarn in jüngster Zeit: „Niemand von den Kulturschaffenden, mit denen wir dort vor einigen Jahren noch erfolgreich zusammengearbeitet haben, ist heute noch im Amt“. Er fordert „klare, antifaschistische Kante“: „Wir müssen uns ändern. Wir müssen aufbegehren gegen den rechten Stumpfsinn. Das müssen wir auch, um den Opfern gerecht zu werden.“

Über neunzig Minuten währt dieses „Theater unter freiem Himmel“, wie Bauer es nennt, und die Teilnehmer harren trotz Hochsommerhitze aus. Getragen ist sie von einem großen, gemeinsamen Eindruck: Man muss die AfD-Sache sehr ernst nehmen, ohne Abstriche oder Kompromisse. Schließlich treten auch noch vierzig Ballettdirektoren aus ganz Deutschland auf; Eric Gauthier ist gerade auf seinem Festival „Colours“ im Theaterhaus ihr Gastgeber. Man konferiert dort über kulturpolitische Fragen, schaut aber kurz auf der Demo vorbei. „Was wäre der Tanz in Deutschland ohne seine internationalen Ensembles?“ fragt ihr Sprecher. Am Vorabend hat wenige Meter entfernt im Opernhaus das Stuttgarter Ballett seine jüngste Premiere gefeiert. Ohne „Ausländer“ gäbe es diese weltweit bekannte Kompanie aus Stuttgart gar nicht. Auch deshalb hat das Staatstheater vom Balkon des Großen Hauses wieder die riesige Regenbogenfahne aufgehängt, auf der „Vielfalt“ steht. Mit diesem Bekenntnis hat sie schon vor fünf Jahren (als es um den „Bildungsplan“ der Landesregierung ging) die AfD erbost. Die wird auch jetzt so einfach kaum nachgeben.