Der Streik gegen die geplante Rentenreform hält das Land weiter im Griff. Doch Regierung und Gewerkschaften verhandeln und wissen um ihre eigenen Schwächen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Irgendwie sind nach dem Generalstreik alle zufrieden. Die Gewerkschaften, weil rund eine Million Menschen am Donnerstag in ganz Frankreich gegen die von der Regierung geplante Rentenreform demonstriert haben. Zwar wurden auch am Freitag noch Züge und Nahverkehr bestreikt, doch am kommenden Dienstag will man noch einmal massiv auf die Straße, um die Kampfkraft erneut unter Beweis zu stellen. Auch die französische Regierung äußert sich erleichtert, was gleich zwei Gründe hat. Zum einen gab es überraschend wenig Randale, zum anderen war man, auch während der Protest lief, ständig im Gespräch mit den Verantwortlichen auf der Gegenseite. Beides mag sich selbstverständlich anhören, ist angesichts der monatelangen gewaltsamen Demonstrationen der „Gelbwesten“ inzwischen aber eher die Ausnahme. Wohl deshalb lobt Premierminister Éduard Philippe nach dem Streiktag immer wieder die konstruktive Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften.

 

Gefährliche Sprachlosigkeit zwischen den Fronten

Im Fall der Gilets Jaunes herrscht dagegen seit Anbeginn eine gefährliche Sprachlosigkeit zwischen den Fronten. Das liegt auch daran, dass die Bewegung offiziell keine Anführer hat. Und jene, die inoffiziell das Zepter in der Hand halten, haben – neben manchen anderen radikalen Forderungen - unter anderem den Sturz der Regierung als Ziel ausgerufen. In solch einem Fall wird jede Verständigung verständlicherweise schwierig. Zudem sind die Ziele der Gelbwesten bisweilen derart diffus und speziell, dass in diesem Gewirr kaum Gesprächsfäden zu finden sind.

Ganz anders im aktuellen Fall der Gewerkschaften. Hier können beide Seiten auf ein über Jahrzehnte eingeübtes Verhandlungsritual zurückblicken. Zudem wissen alle, um was sie feilschen. Zwar werden die Einzelheiten der geplanten Rentenreform erst kommende Woche von der Regierung offengelegt, doch die Marschrichtung ist klar.

Beide Seiten müssen Abstriche hinnehmen

Zudem wissen die Verhandlungspartner, dass sie bei ihren Forderungen Abstriche in Kauf nehmen müssen. Die Gewerkschaften ahnen, dass sie trotz der beeindruckenden Mobilisierung vom Donnerstag nicht mehr die Schlagkraft von 1995 haben, zu sehr haben sich Arbeitswelt und Anstellungsverhältnisse verändert. Damals haben sie mit wochenlangen, landesweiten Streiks gegen eine geplante Rentenreform die Regierung von Premierminister Alain Juppé zum Sturz gebracht. Heute können viele Franzosen zwar den Zorn der Staatsangestellten verstehen, gleichzeitig aber ist eine Mehrheit für den Umbau des teuren und ungerechten Systems.

Auf der anderen Seite kann sich Emmanuel Macron keine Niederlage leisten. Die Rentenreform ist längst zum zentralen Thema seiner krisengeschüttelten Präsidentschaft geworden. Er muss einen Kompromiss erzielen, den er als Erfolg verkaufen kann. Scheitert er jetzt, rückt eine zweite Amtszeit in sehr weite Ferne.