Mieter des Wohnungsbaukonzerns Vonovia haben vor der Firmenzentrale und vor dem Rathaus gegen drastische Mieterhöhungen und Schikanen bei Modernisierungen protestiert. OB Kuhn will mit Vonovia eine Vereinbarung schließen.

Stuttgart - Vonovia enteignen, Spekulanten raus aus unseren Quartieren“ prangte auf den Plakaten, die rund 50 Demonstranten vor der Regionalzentrale des Dax-Immobilienkonzerns Vonovia an der Katharinenstraße den Vertretern des Unternehmens vor die Nase hielten. Bevor Ursel Beck von der Mieterinitiative einen umfangreichen Forderungskatalog übergab, kritisierte sie Vonovia scharf, beklagte Mieterhöhungen von bis zu 60 Prozent, „Chaos, Terror durch das konzerneigene Inkassounternehmen und nicht enden wollende Modernisierungsarbeiten“. Neuerdings werde das ergänzt durch „Betriebskostenabzocke“. Es sei blanker Hohn, wenn die höheren Beträge mit dem Hinweis schmackhaft gemacht würden, mit besserem Service steigere man die Kundenzufriedenheit. Eine Mieterin beklagte Verstöße gegen Brandschutzvorschriften: „Wer ist schuld, wenn es Tote gibt?“ Ursel Beck weiß es: „Vonovia geht über Leichen.“

 

OB Kuhn will nicht nur reden, sondern handeln

Indes hat Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) auf die Missstände reagiert. Er habe im Oktober das Vonovia-Vorstandsmitglied Klaus Freiberg ins Rathaus eingeladen und deutlich gemacht, dass er eine mieterfreundliche Vereinbarung anstrebe, wie sie auch in Hamburg oder Berlin verabredet worden sei oder noch werde. Ziel sei, die Vonovia-Mieter vor drastischen Mieterhöhungen und unangenehmen Begleiterscheinungen von Modernsierungen zu bewahren. „Abzocke geht gar nicht“, sagt Kuhn. Es gelten die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Der Stuttgarter Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann sagte am Rande der Kundgebung, er habe vergeblich versucht, mit dem Vonovia-Vorstand ins Gespräch bekommen und habe deshalb die Idee gehabt, den OB mit ins Boot zu holen.

Kuhn hat seinen Vorschlag am Donnerstag in die Bochumer Zentrale geschickt. Linke-Stadtrat Thomas Adler sagte bei der Kundgebung auf dem Marktplatz, der OB fordere eigentlich nicht viel mehr, als was heute schon gesetzlich vorgeschrieben sei. Starken Beifall erhielt er für die Forderung, den „Abzockkonzern“ mit rund 400 000 Wohnungen zu verstaatlichen. In Stuttgart zählen 4700 Wohnungen zum Bestand, viele gehörten der LBBW-Immobilien, die in einem umstrittenen Verfahren in der Zeit der Schieflage der Bank den Bestand an das Unternehmen Patritzia veräußert hatte.

Kritik der Mieterinitiative am Oberbürgermeister

Die Initiative von Mietern der Vonovia- und Eisenbahnsiedlungsgesellschaft (ESG) hat der Stadt vorgeworfen, die Wohnungskonzerne nicht in die Schranken zu weisen. Kuhn unterstellten sie, den Immobilienfirmen den „roten Teppich“ auszurollen, weil er in der Generaldebatte im Gemeinderat zur Wohnungsproblematik „ein Loblied“ auf die privaten Vermieter gesungen und „kein Wort der Kritik an der aggressiven Profitmaximierungspolitik der Vonovia und anderer Miethaie“ geübt habe.

Nun hat Kuhn reagiert und kommunizierte die Schwerpunkte im Entwurf der Rahmenvereinbarung mit Vonovia. Die Mieter in Stuttgart müssten rechtzeitig über die Dauer einer Modernisierung und die künftige Miethöhe informiert werden. Er will Vonovia darauf festnageln, dass kein Mieter aufgrund von Modernisierungen aus Kostengründen zum Auszug gezwungen werde. Notfalls müsse die Umlage begrenzt werden. Mietminderungen hält Kuhn ebenso für selbstverständlich wie die Bereitschaft, bei größeren Modernisierungen, etwa von Bädern, Ersatzwohnungen zur Verfügung zu stellen. Heute müssen Vonovia-Mieter monatelang Baulärm und eingeschränkte Nutzung dulden. Die Kommunikation müsse besser werden, meint der OB. Er lege Wert auf eine saubere Trennung von (vom Vermieter zu leistenden) Instandhaltungen und (vom Mieter zu tragenden) Modernisierungen. Eine Umlage von sechs Prozent der Modernisierungskosten pro Jahr erachtet er für völlig ausreichend; der Bundesrat fordert derzeit eine Senkung von elf auf acht Prozent. Rolf Gassmann sagt, man müsse dieses Gesetz komplett abschaffen. Dagegen wehre sich aber die CDU im Bund.

Und die Monatsmiete, so Kuhn, solle um nicht mehr als zwei Euro pro Quadratmeter binnen acht Jahren erhöht werden – selbst für den Fall, dass der Gesetzgeber mehr zulasse. Die börsennotierte Vonovia steht aber nicht nur wegen ihrer Mietpreispolitik in der Kritik. Verbraucherschützer und Mietervereine beklagen drastische Erhöhungen der Nebenkosten und falsche Abrechnungen. Knut Unger, Sprecher des Mietervereins Witten in Nordrhein-Westfalen und einer der engagiertesten Vonovia-Kritiker, spricht von systematischer Übervorteilung, da sie mittlerweile vollständig automatisiert auf Basis gewaltiger Datenbanken geschehe. Während der Konzern von Einzelfällen spricht, kennen die Mietervereine tausende von Beschwerden.

Trennung von Instandhaltung und Modernisierung

Die Hausmeister hätten unzählige kleine, meist unnötige Kontrollaufgaben zu erledigen. Das reiche von der wöchentlichen Kontrolle von Türen und Schlössern bis zur monatlichen Kontrolle der Gehwegplatten – alles umlagefähige Maßnahmen, die ebenso die Nebenkosten in die Höhe treiben würden wie die im Detail nicht zu überprüfende Pflege von Grün- und Gehölzflächen. Unger resigniert trotz des Kampfes gegen übergroße Windmühlen nicht, im Gegenteil. Der Protest werde größer, je mehr Mieter sich informierten und sich wehrten, so Unger, der kürzlich in Stuttgart war und rege Teilnahme an einer Versammlung registriert hatte. Er teilt OB Kuhns Einschätzung, dass sich Widerstand lohne. In vielen Fällen erkläre sich Vonovia bereit, Kappungsgrenzen zu akzeptieren, und sei es nur, um als sozialer Vermieter wahrgenommen zu werden.