Der russische Krieg gegen die Ukraine schweißt junge Menschen zusammen; Jusos, Grüne Jugend, Junge Union und Junge Liberale zeigen sich entschlossen, westliche Werte zu verteidigen. Eine Kundgebung in Stuttgart zeigt das eindrucksvoll.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Der junge Mann mit den geschminkten Augen steht auf der Straße vor dem russischen Honorarkonsulat in Feuerbach. Er bebt innerlich. „Fuck this war!“, schreit er in den Abendhimmel. Es ist der hilflose Versuch, etwas zu bewegen.

 

Der junge Mann heißt Sebastian, ist 24 Jahre alt, Tänzer, und kommt aus Italien. Eigentlich lebt er in Köln, für einige Tage ist er mit seinen Künstlerkollegen zu Gast in Stuttgart. Eine junge, bunte, internationale Truppe, auch ein Russe gehört dazu. Über Social Media haben sie von der Kundgebung am Donnerstagabend erfahren und sich spontan auf den Weg hierher gemacht, um irgendetwas gegen das zu unternehmen, was auch ihr Leben über Nacht zum Negativen verändert hat. „Wir Jungen zahlen den Preis“, sagt er auf Englisch. „Wir haben eine Klimakrise, wir haben eine soziale Krise, wir haben eine emotionale Krise – und jetzt auch noch diesen von Putin verursachten Krieg. Dankeschön!“, meint er bitter, während sich rings um ihn herum die Versammlung auflöst. Er hätte mehr erwartet: lauten, anhaltenden Protest, etwas, das Eindruck macht und lange nachhallt: „Fuck this war!“

Die Landtagspräsidentin trägt eine blau-gelbe Bluse

Dabei ist das, was hier zustande gekommen ist, durchaus beachtlich. Jusos, Grüne Jugend, Jungen Union und Junge Liberale haben sich an diesem Donnerstagabend kurzfristig zu einer gemeinsamen Solidaritätskundgebung für die Ukraine verabredet. Mit dabei auch die Jungen Europäischen Föderalisten, die Jugendorganisation der Europa Union. So etwas haben sie noch nie gemacht. Doch eine solche Bedrohung haben sie auch noch nie erlebt. In größter Selbstverständlichkeit stehen zusammen, denn sie merken: bei diesem Krieg geht es um Europa, um westliche Werte, um die Freiheit.

Auch das Echo ist beachtlich: Rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind in die entlegene Leitzstraße gekommen, wo sich das russische Honorarkonsulat befindet, das trotz vieler Anfragen an diesem Tag stumm geblieben ist. Etliche Ukrainer sind darunter, wie der 19-jährige Oleg. Seine Familie lebt in Kiew. Er lebt in Stuttgart – und in großer Sorge um sie. „Ich fühle mich ziemlich hilflos“, sagt. „Es ist wichtig zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.“

Viele blau-gelbe Flaggen sind zu sehen, auch viele Europa-Fahnen und Fernsehkameras. Landtagspräsidentin Muhterem Aras trägt eine blau-gelbe Bluse. Sie wirkt wie alle Anwesenden geschockt. „Ich bin fassungslos, mir fehlen die Worte“, sagt sie. Mit ihrem Kommen will sie ihre „volle Solidarität“ mit den Menschen in der Ukraine ausdrücken. Auf ihre Initiative hin erstrahlt zeitgleich der Landtag in den ukrainischen Farben. Parallel dazu setzt Finanzminister Danyal Bayaz am Neuen Schloss ein blau-gelbes Zeichen.

„We stand for Ukraine“, rufen die Demonstranten

Bei der Kundgebung vor dem russischen Honorarkonsulat dominieren junge Gesichter. „Als Generation, die den Kalten Krieg nicht selbst erlebt habe, ist es auch unsere Verantwortung, den Frieden in Europa zu bewahren und Krieg zu verhindern“, sagt die Juso-Landesvorsitzende Lara Herter ins Mikrofon. Statt „auf dem Sofa den Live-Ticker zu verfolgen“, sollten die Menschen gegen den Krieg aufstehen, sagt sie unter lautem Beifall. Sarah Heim (Grüne Jugend), Florian Hummel (Junge Union), Anton Binneg (Junge Liberale) und Roberta Walser (Junge Europäische Föderalisten) rufen ebenfalls zu aktiver Solidarität mit der Ukraine auf. Hummel beklagt das Versagen des Westens, der jahrelang die Augen vor dem Krieg in der Ostukraine verschlossen habe. Heim fordert Sanktionen gegen Russlands Oligarchen und Verbündete – „selbst wenn sie einmal Bundeskanzler werden“. Eine Anspielung auf den Putin-Freund Gerhard Schröder. In ihren Reden setzen diese Jungen unterschiedliche Akzente, doch sie wirken zusammen – und wollen das auch weiterhin tun. „We stand for Ukraine“, rufen sie alle gemeinsam. „Wir stehen an der Seite der Ukraine“.

Auch Sebastian, der junge, wütende Tänzer, will weitermachen. Am besten sofort. Er und seine Freunde ziehen nach einer Stunde weiter in Richtung Schlossplatz zur anderen großen Solidaritätskundgebung an diesem Abend. „Fuck this war!“