Am Sonntag haben erneut russischstämmige Bürger in Wertheim gegen die Flüchtlingspolitik demonstriert. Sie wollen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. In der Stadt gibt es dafür wenig Verständnis.

Wertheim - Wenn wir sagen, dass die Sicherheit nicht vernachlässigt werden darf, werden wir als Rechtsradikale abgestempelt“, ruft eine junge Frau ins Mikrofon. „Wir wollen erreichen, dass man unsere Ängste ernst nimmt, bevor etwas Schlimmeres passiert“, fordert eine andere. Immer wieder übertönt das Glockenläuten der nahen Kirche die Reden der „besorgten Mütter“, die im Innenhof des Wertheimer Rathauses ihren „Ängsten“ Ausdruck verleihen wollen. „Die evangelische Kirchengemeinde will mit den Glocken ein klares Signal setzen: Wir dulden keine Hetze“, sagt Angela Steffan, Pressereferentin der Stadt. Mit ihr beobachtet der Leiter der Landeserstaufnahmeeinrichtung in der Stadt, Mirco Göbel, die Kundgebung der russlanddeutschen Mitbürger. Weniger als 400 Flüchtlinge beherberge die ehemaligen Polizeiakademie derzeit, sagt Göbel: „Die Situation dort ist ruhiger als hier.“

 

Zweite Auflage

Bereits am vergangenen Wochenende hatte es in der Stadt im Main-Tauber-Kreis – aufgerufen über soziale Netzwerke – eine spontane Zusammenkunft von rund hundert Wertheimern russlanddeutscher Abstammung gegeben. Wie in anderen deutschen Städten demonstrierten die Menschen gegen die „Masse der Flüchtlinge“ und forderten „strikteres Vorgehen der Polizei“ sowie „härtere Gesetze“. Die massiv vom russischen Staatsfernsehen verbreitete Falschmeldung von der Vergewaltigung eines russischstämmigen Mädchens in Berlin – bekannt unter dem Namen Lisa F. – hatte die Kundgebungen ausgelöst.

Diejenigen, die sich hier versammelt haben, leben freilich auch erst in zweiter oder dritter Generation in der Stadt. Ende der 1980er Jahre waren rund 2500 Russlanddeutsche nach Wertheim gezogen. Heute leben sie mit ihren Familien vor allem im Wohngebiet Wartberg sowie im nahe gelegenen Reinhardshof – eben dort, wo Ende vergangenen Jahres in den Räumen einer Polizeiakademie eine Erstaufnahme für Flüchtlinge eingerichtet wurde. Die zahlreichen Satellitenschüsseln an den Balkonen zeigen, woher die Menschen ihre Informationen beziehen. So bricht auch immer wieder das Misstrauen in die Berichterstattung deutscher Medien an diesem Sonntag seine Bahn: „Manipulations-Presse“ steht auf einem Schild, das ein Mann in die Höhe hält. „In den Zeitungen stehen ohnehin nur Lügen“, schimpft eine Teilnehmerin, „ihr vertuscht doch alles.“

Wider die Missverständnisse

Nach rund einer Stunde ist die Kundgebung beendet. Die Polizei, die mit 30 Beamten im Einsatz ist, schätzt die Zahl der Teilnehmer auf 350 bis 400 Personen. Den Medienvertretern händigt ein Mann Zettel aus. Hier haben die Veranstalter, „damit es nicht zu Missverständnissen kommt“, ihre Forderungen niedergeschrieben: mehr Personal für die Polizei; deutliche Steigerung der Polizeipräsenz; bessere Überwachung der öffentlichen Einrichtungen wie Spielplätze und Schulen; freie Meinungsäußerung ohne Nachverfolgung.

„Das gefällt mir nicht“, sagt ein Rentner, der das Geschehen beobachtet hat, am Ende zu einer Teilnehmerin. „Früher haben wir ein tolles Miteinander mit den Russlanddeutschen gehabt“, setzt er nach, „mir gefällt auch nicht alles, aber was hier abgeht, macht mir Angst.“