Nach den Kliniken sollen Bahnen, Schulen und Universitäten bestreikt werden. Die Regierung plant ein Gesetz, um die Ausstände zu verhindern.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

In eisiger Kälte zogen am Mittwoch Zehntausende Krankenschwestern und -pfleger mit Streikplakaten vor englischen Kliniken auf, um gegen „Hungerlöhne und miserable Arbeitsbedingungen“ zu protestieren. Der Streik erstreckt sich erstmals auf zwei volle Tage, also auch diesen Donnerstag – und soll von Februar an längere Zeiträume umfassen, falls die Regierung zu keiner Einigung kommt.

 

„Schweren Herzens und mit kalten Händen“ stünden sie vor den Klinikeingängen statt auf ihren Stationen, erklärten die Streikenden, die sich in Schals und Wollmützen gehüllt hatten und Kaffee oder Tee in Thermosflaschen bei sich trugen. Als „überarbeitet, unterbezahlt und gering geschätzt“ bezeichneten sich viele auf ihren Posten. In vielen Spitälern, die eh kaum noch den täglichen Anforderungen gerecht werden, hielten lediglich Notdienste den Betrieb am Laufen während des Streiks.

Tausende von Operationen mussten abgesagt werden

Tausende von Operationen und Behandlungsterminen mussten abgesagt werden. Weitere Klinikbeschäftigte und die Verbände der Assistenzärzte planen, sich dem Streik anzuschließen. Nächsten Montag streiken erneut die Rettungswagen-Fahrer. Und das Klinikpersonal ist nicht allein. Bahnen und Busse werden in Kürze an mehreren Tagen erneut stillstehen, nachdem alle Verhandlungen gescheitert sind. Die Post – die Royal Mail – wird ebenfalls wieder punktuell bestreikt. Ministerialbeamte und Mitarbeiter wichtiger Behörden haben sich angeschlossen. Die Universitätslektoren planen einen 18-tägigen Ausstand.

Außerdem wollen Hunderttausende von Lehrern im Februar die Arbeit niederlegen. Erwartet wird, dass die meisten Schulen dann schließen müssen. Das wird, neben den Streiks in den Kliniken, einen besonders spürbaren Effekt haben – womöglich bis ins Frühjahr hinein. Die Lehrergewerkschaften klagen, dass die Reallöhne ihrer Mitglieder in den letzten zwölf Jahren um ein Viertel gesunken sind und dass die Rekordinflation, die über zehn Prozent liegt, für viele Lehrer „nicht mehr zu verkraften“ sei. Die Regierung hat rund fünf Prozent Lohnerhöhung angeboten – wie beim Klinikpersonal. Im Vorjahr waren die Löhne in den öffentlichen Diensten um 3,3 Prozent gestiegen – in der Privatwirtschaft um 7,2 Prozent.

Die größte Streikwelle seit der Ära Maggie Thatcher

Allein von Juni bis November letzten Jahres sind durch Streiks über 1,6 Millionen Arbeitstage verloren gegangen. Das ist, laut Berechnungen der „Financial Times“, die höchste Zahl an Streiktagen seit 30 Jahren im Vereinigten Königreich. Eine solche Welle an Arbeitskämpfen hat es in der Tat seit der Ära Margaret Thatcher nicht mehr gegeben. Rishi Sunaks Regierung ist nach anfänglicher Weigerung inzwischen zu Gesprächen mit den Gewerkschaften bereit, lehnt einen vollen Inflationsausgleich aber ab. Sie hat erklärt, ein Nachgeben ihrerseits würde den Kampf gegen die Inflation gefährden.

Zusätzlich eskaliert ist die Lage durch neue Anti-Streik-Gesetze, die Sunak im Parlament eingebracht hat. Sie sollen es der Regierung ermöglichen, in manchen Arbeitsbereichen zu Streikzeiten „ein Mindestmaß an Dienstleistungen“ zu sichern und widerspenstige Streikende zu entlassen. Gelten soll dies unmittelbar für Kliniken, Ambulanzen, Eisenbahnen und Feuerwehr.

Gewerkschafter sprechen von einem illegalen Gesetz

Es soll aber ausgeweitet werden können auf Schulen und Universitäten, die Grenzsicherung und den Bereich der Stilllegung von Atomkraftwerken. TUC-Generalsekretär Paul Nowak hat diese „drakonische“ Gesetzesvorlage „undemokratisch, unumsetzbar und wohl auch illegal“ genannt. Angela Rayner, die Vizechefin der Labour Party, sprach von einem Verstoß „gegen Bürgerrechtsprinzipien“ – von einer Einschränkung von „Freiheiten, für die jahrhundertelang gekämpft worden ist“.