Mit einem aus Kartons gebauten „Haus der guten Pflege“ haben Mitarbeiter der Diakoniestationen Waiblingen, Fellbach und Weinstadt auf dem Waiblinger Marktplatz auf die Bedingungen im Bereich der ambulanten Pflege aufmerksam gemacht.

Waiblingen - Die Stoppuhr auf dem Handy läuft immer mit: Wenn Carola Mombrei und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Diakonie- und Sozialstation Waiblingen Hausbesuche bei der pflegebedürftigen Kundschaft machen, dann ist alles genau durchgetaktet. 20 Minuten Zeit veranschlagen die Krankenkassen zum Beispiel für eine „kleine Toilette“ – das heißt An- und Ausziehen, Zähneputzen, eine Gesichts- und eine teilweise Körperwäsche. „Natürlich gibt es Leute, da ist das gut machbar, aber bei anderen reicht die Zeit nicht. Für jede Minute, die man länger braucht, muss man sich rechtfertigen“, sagt Carola Mombrei. Falls ein Kunde mal ein bisschen reden wolle, bleibe den Alten- und Krankenpflegern allenfalls die Möglichkeit, ihre Pause oder Freizeit zu opfern. Denn solche Leistungen könnten die ambulanten Pflegedienste nicht abrechnen und für sie gelte wie für andere Dienstleister: „Betriebswirtschaftlich muss es halt auch funktionieren“.

 

So wie den Mitarbeitern der Diakoniestation in Waiblingen ergeht es auch jenen in Stuttgart oder anderswo in Deutschland. Aus diesem Grund hat die Diakonie am Montag mit einem bundesweiten Aktionstag die Politik dazu aufgefordert, ein „Rettungspaket Altenpflege“ zu schnüren. Auf dem Waiblinger Marktplatz haben die Beschäftigten der Diakoniestationen Waiblingen, Weinstadt, Fellbach und Schmiden-Oeffingen aus Kartons symbolisch ein „Haus der guten Pflege“ errichtet – und zwar um fünf Minuten vor zwölf.

Die Bausteine des Gebäudes, die mit Forderungen wie eine „würdevolle Pflege“, „familiäre Entlastung“ und eine „gerechte Finanzierung“ versehen waren, haben die Prostestierenden vor den Augen des Fellbacher Oberbürgermeisters Christoph Palm, Fellbachs Erstem Bürgermeister Günter Geyer sowie dessen Waiblinger Amtskollegin Christiane Dürr aufgetürmt. Letztere betonte, ambulante Angebote seien ein Muss für Kommunen – schließlich wolle die Mehrzahl der Menschen im Alter zuhause wohnen. Gute Pflege aber brauche die entsprechenden Rahmenbedingungen und es sei leider so, „dass die Vergütungen der Realität hinterher hinken“.

Es könne nicht sein, dass die Diakoniestationen trotz vollem Arbeitseinsatz rote Zahlen schreiben, findet auch Carola Mombrei. Sie ist seit 20 Jahren im ambulanten Bereich tätig und klagt über „immer mehr äußere Zwänge“. Wie verfahren die Situation ist, das werde den Menschen meist erst klar, wenn sie selbst oder ein Angehöriger betroffen seien, sagt die Krankenschwester. Insofern sei der Kartonbau auf dem Waiblinger Marktplatz eine gute Möglichkeit, um die Leute aufmerksam zu machen.

Ihr Kollege Jürgen Retter arbeitet seit 25 Jahren als Krankenpfleger und ärgert sich fast ebenso lange darüber, dass er und seine Kollegen nicht die Möglichkeit haben, ihren Kunden zu dem zu verhelfen, was sie brauchen – zum Beispiel Windelhosen. Denn die gibt es ausschließlich auf Rezept eines Arztes. „Wie lange werden wir noch unmündig gehalten?“, fragt Retter: „Es ist überfällig, dass wir solche Hilfsmittel verschreiben dürfen. Das gehört endlich in unsere Hand.“

Christian Müller, der Geschäftsleiter der Diakonie- und Sozialstation Waiblingen, war zufrieden mit dem Hausbau zu Waiblingen: „Die Sache hat ihren Sinn und Zweck erfüllt und eine Diskussion in Gang gesetzt.“ Vielleicht erfüllt sich ja irgendwann auch Carola Mombreis großer Wunsch: „Dass wir die Leute so pflegen können, wie sie es wollen.“