Die monatelangen Proteste der „Gelbwesten“ in Frankreich haben eine Gegenbewegung bekommen: Die „Rotschals“ demonstrieren vor allem gegen die grassierende Gewalt bei den Demos. Doch wer steckt dahinter?

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Warum ihr Schal rot ist, wissen sie selbst nicht. Die Foulards rouges sind keine linken Revoluzzer. Sie geben sich eher bürgerlich und sehen sich als Sprachrohr der schweigenden Mehrheit.   Vor allem haben sie genug von den Gewaltszenen der Gelbwestenproteste, die in Frankreich seit Wochen über die Bildschirme flimmern. „Stopp, jetzt reicht es!“, wetterte ein Ingenieur aus Toulouse namens Laurent Soulié schon im Dezember, als einige Gilets jaunes den Pariser Triumphbogen stürmten und dort eine Spur der Verwüstung hinterließen.   Souliés Facebook-Aufruf verbreitete sich rasch in den sozialen Netzwerken. Er selbst verhehlt nicht, dass er 2017 der Plattform En Marche beigetreten war und für deren Kandidaten Emmanuel Macron gestimmt hatte: „Ich war sofort bereit dazu.“

 

Die „Rotschals“ demonstrieren schweigend

Um die Jahreswende herum riefen die roten Schals dazu auf, am 27. Januar in Paris gegen die Gewalt auf die Straße zu gehen. Die Teilnahme von Ministern und Parteivertretern lehnten sie kategorisch ab. Zu dem „republikanischen Umzug für die Freiheit“ kamen am Sonntag nicht die erwarteten Massen. Nur gut 10 000 Teilnehmer waren es laut offiziellen Angaben. Doch auch die Gelbwesten bringen derzeit nicht viel mehr Unterstützer auf die Straße: 4000 Gilets jaunes zogen am Samstag zum elften Mal durch die Hauptstadt, weitere 65 000 im übrigen Land.

Der Zug der Rotschals verlief schweigend. Schirme ersetzten Transparente, und die einzige Losung lautete: „Stoppt die Gewalt und die Blockaden“. Ein Umzugsteilnehmer sagte, er demonstriere nicht gegen die Gelbwesten und nicht für Macron, sondern für die Demokratie.   Dass die Rotschals nicht mehr Menschen auf die Straße brachten, lag wohl daran, dass sie zumindest unfreiwillig einem Präsidenten in die Hand spielen, der längst keine schweigende Mehrheit mehr hinter sich weiß.

Der Initiator wird übel beschimpft

In den sozialen Medien wird Rotschal-Initiator Laurent Soulié bereits als „Kollaborateur“ und „Pétain-Enkel“ beschimpft. Zu alldem wurde seine Aktion von einem Polizeieinsatz überschattet, bei dem ein prominenter Gelbwestenaktivist eine schwere Augenverletzung davontrug. Jérôme Rodrigues filmte am Bastille-Platz gerade die Samstagsdemo, als ihn vermutlich ein Gummigeschoss der Polizei traf. Rodrigues selbst ist als Gewaltgegner bekannt. Im Verlauf der vergangenen Wochen trugen mehr als zehn Demonstranten Verletzungen an den Augen davon. Innenminister Christophe Castaner hat deshalb vergangene Woche die CRS-Bereitschaftspolizei angewiesen, nicht mehr auf Höhe des Kopfs oder auf die Genitalien der Demonstranten zu zielen.   Nach Rodrigues' Verletzung prangerte die Rechtspopulistin Marine Le Pen die „Verstümmelung von Oppositionellen“ an; Linkenchef Jean-Luc Mélenchon verlangte den Rücktritt Castaners. Der zur radikalen Fraktion zählende Gelbwesten-Vertreter Eric Drouet rief zu einem „beispiellosen Aufstand mit allen Mitteln“ auf.  

„Aus der Hölle holen“

Die Pariser Präfektur ordnete eine interne Untersuchung an. Sicherheitsexperte Guillaume Farde erklärte am Sonntag, es sei mobilen Einheiten mit Schutzschildern fast unmöglich, im Getümmel genau zu zielen. Polizeigewerkschafter gaben zu bedenken, dass am Samstag auch ein CRS-Mann schwer verletzt worden sei, möglicherweise durch den Wurf einer Pétanque-Kugel.

Rodrigues erklärte später, dass an der Bastille auch gewaltbereite Aktivisten des Schwarzen Blocks im Einsatz gewesen seien. Er selbst habe versucht, friedliche Gelbwesten „aus dieser Hölle herauszuholen".   Nicht weit davon entfernt demonstrierten am Sonntag auch Vertreter der Grünen an der Place de la République friedlich gegen die Klimaerwärmung. Greenpeace rief dabei zu mehr „Klimagerechtigkeit“ auf, was nach Einschätzung von Beobachtern als Solidarisierung mit den sozialpolitischen Anliegen der Gelbwesten zu verstehen war.