Proteste und Gewalt Krise in Kuba – die Wut entlädt sich

In Havanna gehen Tausende von Demonstranten auf die Straße. Foto: dpa/Eliana Aponte

Seit Tagen demonstrieren auf der Karibikinsel die Menschen gegen das sozialistische Ein-Parteien-Regime. Die Pandemie hat die ohnehin schwache Wirtschaft einbrechen lassen. Tausende gehen auf die Straße. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Havanna - Explodierende Coronazahlen, dazu eine schwere Wirtschafts- und Versorgungskrise und staatliche Repression. Die innenpolitische Krise in Kuba hat sich über Monate zugespitzt: Nun entladen sich der Frust und die Wut über das sozialistische Ein-Parteien-System auf der Straße. Sprechchöre wie „Freiheit“ oder „Nieder mit der Diktatur“ sind zu hören. Das sind ungewohnte Bilder aus Kuba, denn in der Vergangenheit haben die Regierung von Staatspräsident Miguel Diaz-Canel oder deren Vorgänger Fidel und Raúl Castro stets darauf geachtet, solche Proteste gleich im Keim zu ersticken. In Kuba ist seit der Revolution 1959 nur eine einzige Partei erlaubt, oppositionelle Tätigkeiten außerhalb der offiziellen Institutionen sind verboten. José Miguel Vivanco, Amerika-Direktor von Human Rights Watch, spricht von den „vielleicht größten Demonstrationen seit Jahrzehnten“.

 

Die Nichtregierungsorganisation Netblocks berichtete, die staatliche Kommunikationsbehörde ETECSA habe das Internetnetz blockiert und damit die Kommunikation der regierungskritischen Kräfte untereinander, aber auch mit dem Ausland erschwert, zum Teil auch komplett unterbunden. So solle verhindert werden, dass Bilder und Videos von den Protesten, aber auch von Polizeigewalt nach außen dringen.

Die ersten Proteste seit 1959

„Was derzeit in Kuba passiert, ist etwas Beispielloses. Etwas, das es in der kubanischen Bevölkerung seit 1959 nicht mehr gab“, sagt Kathrin Bisquet, Kulturschaffende, Aktivistin und Freundin des vor wenigen Wochen nach seiner Rückkehr aus Deutschland verhafteten Künstlers Hamlet Lavastida gegenüber unserer Zeitung. Sie ist eine der wenigen aus dem Lager der regierungskritischen Kulturschaffenden, die überhaupt noch erreichbar sind. Das Volk übe sein Recht auf eine abweichende Meinung aus, so Bisquet aus Havanna.

Die Regierung von Präsident Diaz-Canel hält dagegen, die Proteste seien Vandalismus einiger weniger aus dem Ausland gesteuerter Gruppen. Diaz-Canel übernimmt damit eine Argumentation, wie sie zuletzt aus Kolumbien, Chile, Venezuela oder Nicaragua zu hören war, wo es ebenfalls zu Sozialprotesten kam. Auch dort erklärten die Regierungen, die Proteste seien aus dem Ausland gesteuerte Provokationen, um die Länder zu destabilisieren.

Die Demonstrationen in Kuba seien aus den USA initiiert, heißt es aus Havanna. Obendrein seien die internationalen Medienberichte falsch, die Mehrzahl der Demonstranten seien in Wahrheit Anhänger der Regierung, die das umstrittene US-Handelsembargo kritisierten. Dieses Handelsembargo stammt noch aus der Zeit des Kalten Krieges und ist nach Angaben der Regierung für die schlechte Versorgungslage im Land verantwortlich. Die USA knüpfen eine Aufhebung des Embargos an die Forderung einer demokratischen Öffnung, dazu zählen die Zulassung von Oppositionsparteien, freie Medien und eine unabhängige Zivilgesellschaft. Havanna dagegen argumentiert, das gäbe es alles auf Kuba schon, nur in einer anderen, eigenen revolutionären Form.

„Die Vereinigten Staaten rufen das kubanische Regime auf, in diesem entscheidenden Moment seinem Volk zuzuhören und auf seine Bedürfnisse einzugehen, anstatt sich selbst zu bereichern“, sagt US-Präsident Joe Biden. Mehr als ein Appell ist das allerdings auch nicht. Russland ließ wissen, Moskau erwarte, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen würden, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.

Gewalt gegen Demonstranten

Überraschend deutlich rechtfertigte Diaz-Canel den Einsatz von teilweise gewalttätigen Einheiten der Staatssicherheit und der Polizei gegen die Demonstranten. „Das haben sie verdient“, sagte Diaz-Canel lapidar und zog damit einen Vergleich zum Umgang mit den Protesten in Venezuela und Nicaragua, die sich in Wirklichkeit gegen das Volk gerichtet hätten. Dort kritisieren Menschenrechtsorganisationen das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Opposition.

Aktueller Auslöser der Proteste ist auch die Coronasituation. Mit rund 6900 Infektionen allein am Sonntag hat die Elf-Millionen-Insel proportional die Infektionszahlen in Brasilien, dem bisherigen Hotspot Lateinamerikas, überholt. Nun bricht das Gesundheitssystem zusammen, es fehlen Medikamente, und Menschen sterben zu Hause. Es war allerdings stets das eigene Gesundheitssystem, das die kubanische Regierung und ihre Anhänger als vorbildlich beschrieben. Hinzu kommt eine wachsende Unzufriedenheit über die katastrophale Versorgungslage im Land. Die wenigen Lebensmittel, die es gibt, sind teuer und nur nach stundenlangem Anstehen in der Schlange zu bekommen.

Ihren Anfang nahm die Protestwelle vor einigen Monaten mit einem Aufstand der unabhängigen Kunstszene gegen ein Dekret, das dem Staat die totale Kontrolle über Inhalte und Auftrittsmöglichkeiten verschafft. Daraus haben sich verschiedene Bewegungen gebildet, die für eine demokratische Öffnung des Ein-Parteien-Systems kämpfen. Es folgte die Veröffentlichung eines Rap-Songs mit dem Namen „Patria y Vida“, der fortan zur Hymne der Protestbewegung wurde und millionenfach abgerufen wurde. Das Video zeigt Bilder von Armut und Repression.

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