Winfried Kretschmann ist von den Staatsdienern für seinen Sparkurs ausgebuht worden. Bleibt er standhaft – oder knickt der Ministerpräsident ein?

Stuttgart - Er sei doch etwas überrascht gewesen, sagt ein verstörter Winfried Kretschmann am Ende der Beamtenkundgebung in der Stuttgarter Liederhalle. Nicht über den Unmut an sich, aber über die Vehemenz des Protests, der ihm aus 2500 Kehlen, aus vielen Tröten und Trillerpfeifen entgegengeschlagen war. Der Regierungschef fügt hinzu: „Ich habe schon etwas Angst um mein Gehör gehabt, als ich hereingekommen bin.“ Das war nur bedingt ironisch gemeint; die Sorge war nicht gänzlich unbegründet. Den Ministerpräsidenten empfängt eine Geräuschkulisse, die im Verwaltungsalltag unter Berufung auf das Immissionsschutzrecht zur sofortigen Schließung jeder Behörde geführt hätte – mit Hinweis auf die Fürsorge für die staatlichen Mitarbeiter.

 

Der Lärm ist groß, und er hält an; ein ziemliches Inferno. Die Grünen kennen das von den Stuttgart-21-Demonstrationen, aber da gehörten sie bis zur Volksabstimmung selbst zu denen, die Krach schlugen. Diesmal sind sie die Adressaten – in Person des Regierungschefs und der Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Edith Sitzmann. Die Polizeigewerkschaft im Beamtenbund hat ein großes Banner ins Sichtfeld des Podiums gerückt: „Für den Schlossgarten sind wir recht – für den Landeshaushalt schlecht“, heißt es da. Die protestierenden Staatsdiener nehmen die von Grün-Rot propagierte Politik des Gehörtwerdens unüberhörbar ernst. „So nicht! So nicht!“-Sprechchöre branden gegen Kretschmanns Rednerpult. „Aufhören! Aufhören!“-Choräle wogen Sitzmann entgegen. Akkurat gekleidete Pensionäre mit weißem Haarkranz bedenken die Grünen-Politikerin mit rhythmischen Pfuirufen. Sitzmann muss zeitweise in ihrer Rede innehalten, will sie aber nicht abbrechen, schließlich ist sie von den Beamten zur Kundgebung eingeladen worden.

Schilder statt Schuhe

Volker Stich, der Chef des Beamtenbunds, spricht zu Beginn einige begütigende Worte: „Wir sollten der Veranstaltung einen Rahmen geben, der unserer würdig ist“, sagt er. „Bitte bedenken Sie, hier stehen die Staatsdiener Baden-Württembergs.“ Stich hatte Schilder mit der Aufschrift „Nein“ verteilen lassen – aus Sorge, dass ansonsten womöglich Schuhe fliegen oder zumindest hochgehalten werden könnten. So wie dies im Januar vor dem Neuen Schloss Stuttgart-21-Gegner taten – anlässlich des Neujahrsempfangs der Landesregierung. Wer ein Schild hält, dachte sich Stich, der hat die Hände nicht frei, um mit Schuhen zu fuchteln. Dieses Kalkül, immerhin, geht auf.

Der Verbandschef gibt sich in seiner Rede tief enttäuscht über die neue, grün-rote Landesregierung. „Vertrauen und Glaubwürdigkeit wurden unnötig aufs Spiel gesetzt“, sagt er. Stich bezieht sich auf die 132 Millionen Euro, die Grün-Rot im Etat 2012 bei den Beamten spart. Laut Beamtenbund bedeutet dies für jeden Staatsdiener im Schnitt ein Minus von jährlich 140 Euro und einmalig 400 Euro. Ein Skandal sei das, sagt Stich, unsozial und ungerecht. Verantwortlich seien die Grünen mit dem Ministerpräsidenten an der Spitze. Dem SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, der zuletzt für die Beamten getrommelt hatte, stattet er Dank ab, ebenso den Fraktionschefs der Opposition, Peter Hauk (CDU) und Hans-Ulrich Rülke (FDP), die das Geschehen im Saal mit tiefer Befriedigung verfolgen.

Stich will Studiengebühren wieder einführen

Stich legt eigene Sparvorschläge vor. Das Ansinnen der grün-roten Koalition, das durch den Schülerrückgang frei werdende Geld vorläufig im Bildungssystem zu belassen, hält er für überzogen, die Abschaffung der Studiengebühren für falsch. Letzteres lehnt die Gewerkschaft Verdi unverzüglich ab. Stich kritisiert die höhere Förderung des Mietwohnungsbaus und die zusätzlichen Mittel zur Verringerung des Sanierungsrückstands. Damit will Grün-Rot marode Landesgebäude und Straßen sanieren. Stichs Vize Joachim Lautensack wirft der Koalition den Bruch von Wahlversprechen vor. In den Wahlprüfsteinen hätten Grüne und SPD Kürzungen bei den Beamten ausgeschlossen.

Regierungschef Kretschmann wirkt nach den Attacken aufgewühlt, sein Gesichtsausdruck changiert zwischen Trotz und Empörung. Als er ans Rednerpult geht, stellt sich die Frage: Platzt ihm der Kragen? Erst mal nicht. Kretschmann versucht es auf die launige Tour. Es sei ganz gut, sagt er, „wenn man gelegentlich merkt, dass das Regieren kein Leben auf dem Ponyhof und kein Streichelzoo ist“. Mit seinem Kommen zeige er, dass es ihm ernst sei mit der „Politik des Gehörtwerdens“. Das Schmeicheln ist nicht Kretschmanns Königsdisziplin, doch flüssig kommt ihm der Satz über die Lippen: „Ich wertschätze Ihre Arbeit; seit ich regiere, ist diese Wertschätzung noch gestiegen.“ In der Sache jedoch bleibt er stur. Er verweist auf die verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse, die den Ländern das Schuldenmachen vom Jahr 2020 an im Grundsatz verbietet. „Ich muss den Haushalt sanieren, da führt kein Weg daran vorbei, auch nicht an dem Personalkostenanteil von 40 Prozent.“ Er hantiert mit Haushaltszahlen, und als dies neue Protestwellen auslöst, sucht er den Beistand von Franz-Josef Strauß, den er leicht variiert: „Man kann Ministerpräsidenten anschreien, aber keine Zahlen.“

Ein bitterer Moment für den Regierungschef

Der Lärmpegel nimmt partout nicht ab. Kretschmann wird fuchsig. Protest ja, er sei für Kritik offen, aber bitte „mit Maß und Mitte“. Man möge doch die Kirche im Dorf lassen. So groß seien die Einschnitte nicht, dass man so harsche Töne anschlagen müsse. Und es sei auch nicht diese Regierung gewesen, welche die vielen Schulden angehäuft habe. „Abwählen“, erschallt es aus dem Saal. „Das können Sie in viereinhalb Jahren“, antwortet Kretschmann, der sich ein halbes Jahr zu viel gibt. Für ihn ist dieser Moment bitter. 34 Prozent der Beamten hatten bei der vorigen Landtagswahl Grün gewählt, 23 Prozent die SPD. „Wenn ich mich durch Drohungen einschüchtern lassen würde, würde ich meiner Aufgabe nicht gerecht werden“, sagt der Regierungschef. Schließlich bietet er konstruktive Gespräche an. In das Schlusströten mischt sich auch Beifall.

Am Ende der Kundgebung gibt es sogar Beifall ganz ohne Tröten. Zuvor versichert CDU-Fraktionschef Peter Hauk: „Wir sind bei der Haushaltskonsolidierung dabei.“ Strukturelle Kürzungen seien nötig, aber nicht allein bei den Beamten, wie dies die Regierung gemacht habe. „Wir erwarten Verlässlichkeit für die Beamten.“ Der FDP-Fraktionschef Rülke kritisiert, Grün-Rot habe in den Ministerien viele neue Stellen geschaffen, um Parteigänger zu versorgen. Bei den Häuptlingen werde geklotzt, bei den Indianern gespart. SPD-Fraktionschef Schmiedel gibt den Beamtenfreund: „Wir machen keine Dinger, die Sie nach Karlsruhe führen.“ Gemeint war damit die Drohung des Beamtenbunds, die Wahrung des staatlichen Alimentationsprinzips vor dem Bundesverfassungsgericht zu verteidigen. Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann erinnert daran, dass der Vorschlag zur Verschiebung der Besoldungserhöhung von Verbandschef Stich gekommen war. Der hatte allerdings daran die Hoffnung geknüpft, mit der Regierung eine Abmachung zu treffen, die weitere Einschnitte für den Rest der Legislaturperiode ausschließt.

Rentner wettern gegen „Beamten-Gier“

Draußen vor der Liederhalle hält währenddessen ein anderer Verband die Fahnen hoch: das Bündnis für Rentenbeitragszahler und Rentner, das nach eigenen Angaben 2500 Mitglieder vertritt. „Wir zeigen dem Beamtenbund die Rote Karte“, sagt der Vereinschef Herbert Heinritz. Bei der sozialen Sicherheit gebe es in Deutschland ein Zweiklassensystem, und die Beamten seien die Profiteure. Ein Plakat fordert: „Beamte und Pensionäre an der Haushaltssanierung beteiligen.“ Auf einem anderen ist zu lesen: „Nach Banker-Gier jetzt Beamten-Gier.“ Die Staatsdiener aber steigen in ihre Busse und fahren zurück .