Der schwäbische Finanzvermittler AVL hat erfolgreich gegen das Provisionsabgabeverbot geklagt. Die Finanzaufsicht Bafin hält trotzdem an der alten Regelung fest. Noch.

Stuttgart - Warum soll bei Lebensversicherungen nicht möglich sein, was bei Investmentfonds gang und gäbe ist: Vermittler verzichten auf den Ausgabeaufschlag beziehungsweise die Provision – zum Vorteil der Kunden. Das dachte sich Uwe Lange, der Inhaber und Geschäftsführer des unabhängigen Fondsvermittlers AVL in Weinstadt im Remstal. Lange erstritt im Herbst 2011 beim Verwaltungsgericht Frankfurt ein Urteil, das weit über die Branche hinaus Furore gemacht hat. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig, weil die Beklagte, die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin, entgegen ihrer Ankündigung doch keine Revision eingelegt hat.

 

Für Lange ist die Entscheidung der Frankfurter Richter ein Dammbruch: „Damit steht dem freien Preiswettbewerb nichts mehr im Weg“, sagt der AVL-Geschäftsführer. Nun sei Schluss mit den „dicken Provisionen“ für die Versicherungsmakler. 4,5 bis fünf Prozent Abschlussprovision bei Lebensversicherungen seien keine Seltenheit. Bei einer Versicherungssumme von 100 000 Euro flößen also erst mal bis zu 5000 Euro vom anzusparenden Guthaben ab.

Konkret hatte AVL eine fondsgebundene Lebensversicherung an einen Kunden vermittelt und dafür den Nettotarif, also eine Variante ohne die andernfalls fälligen 4,5 Prozent Abschlussprovision, gewählt. „Die Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettotarif ist in allen EU-Ländern zulässig“, sagt Lange. Nur in Deutschland bis jetzt nicht, weil sich die Bafin auf eine Rechtsverordnung aus dem Jahr 1934 beruft. Der AVL-Geschäftsführer rechnet vor: „Für den einzelnen Versicherten geht es bei einer Investitionssumme von 100 000 Euro, einer angenommenen Wertentwicklung von fünf Prozent und einer Laufzeit von 25 Jahren um einen Mehrwert von rund 14 000 Euro.“

Lange, der sein Unternehmen als Discountanbieter unter den Fondsvermittlern bezeichnet, sieht sich als Vorkämpfer für mündige Verbraucher – und trifft auf den geballten Widerstand von Aufsicht, Versicherungslobby und Maklerverbänden. Nach der Rücknahme der Revision ist zwischen den Beteiligten ein Streit über die Tragweite des Verwaltungsgerichtsurteils (Az. 9K 105/11.F) entbrannt. Nach Ansicht der Bafin-Fachleute handelt es sich bei dem Frankfurter Richterspruch um eine Einzelfallentscheidung. Die zuständige 9. Kammer hält das Verbot, das sich im Übrigen nicht nur auf Vermittler, sondern auch auf die Versicherungen selbst erstreckt, für zu unbestimmt. Ihnen wird in der Verordnung aus der NS-Zeit untersagt, „dem Versicherungsnehmer in irgendeiner Form Sondervergütungen zu gewähren“.

Das Urteil ist nach Ansicht der Bafin „nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des Provisionsabgabeverbotes als Ganzes höchstrichterlich klären zu lassen“. Eine Sprecherin der Behörde betont denn auch, dass „die dem Provisionsabgabeverbot zugrunde liegende Verordnung weiterhin besteht“, das Verbot also nicht gekippt sei. Man verzichte lediglich darauf, die Weitergabe von Provisionen als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Die Aufsicht prüft nun selbst das Verbot, das im Übrigen auch für den Vertrieb von Krankenversicherungen sowie Schaden- und Unfallversicherungen gilt. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein, ist die Bafin doch bisher kein Jota von ihrer Haltung abgerückt.

Die Anwälte von AVL werfen der Versicherungsaufsicht vor, die grundsätzliche Bedeutung des Urteils vom 24. Oktober bewusst zu ignorieren. Die zögerliche Haltung der Bafin sei „ein Affront gegen die Justiz“, kritisiert der Stuttgarter Rechtsanwalt Andreas Sasdi. Seiner Auffassung nach ist das umstrittene Provisionsabgabeverbot definitiv ungültig – und zwar streng genommen schon seit Einführung des Grundgesetzes, mit dem es nämlich unvereinbar sei. Sasdi schränkt aber ein: Mit völliger Rechtssicherheit gelte das erstrittene Urteil nur für AVL.

Meinungen gehen auseinander

Auch in der Branche gehen die Meinungen auseinander. So meint etwa ein Versicherungsmakler aus Osnabrück, dass das Provisionsabgabeverbot faktisch gefallen sei. „Der Damm ist gebrochen“, schreibt er in einem Blog. Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute betont hingegen, die alte Regelung sei mitnichten gekippt. Sie müsse erhalten bleiben, fordert Verbandspräsident Michael Heinz. „Um Provisionen kann nicht gefeilscht werden“, sie seien die Existenzgrundlage der Vermittler und der Lohn für die erbrachten Beratungsleistungen.

In dieselbe Kerbe schlägt auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft: „Es wäre naiv zu glauben, dass sich durch ein Wettrennen der Vermittler um die billigste Beratung die Beratungsqualität verbessern würde“, erklärt GDV-Präsident Rolf-Peter Hoenen. Gute Beratung habe ihren Preis. Doch nicht immer seien die Kunden in der Vergangenheit wirklich bedarfsgerecht beraten worden, räumt Hoenen selbstkritisch ein.

Dem kann AVL-Chef Lange nur zustimmen. „Viele Kunden kommen zu uns, weil sie schon oft schlecht beraten worden sind.“ Die Leistungen des 1997 gegründeten Weinstädter Fonds- und Altersvorsorgevermittlers sind auf informierte Verbraucher zugeschnitten, Beratung spielt keine Rolle. Lange hält die Einwände des GDV gleichwohl nicht für stichhaltig: Durch mehr Wettbewerb könne die Beratung eigentlich nur besser werden. Ein Kunde, dem die Kosten und Leistungen einer Versicherung oder eines Fonds transparent dargelegt werden, werde auch bereit sein, für die Beratungsleistung zu bezahlen.

Gegenwärtig müssen die Abschluss- und Vertriebskosten in Euro und Cent ausgewiesen werden. Sie umfassen nach Auskunft des GDV aber mehr als die Vermittlungsprovisionen. Diese werden nicht offengelegt. Über ihre Höhe ließe sich auch allgemein nichts sagen, erklärt eine Verbandssprecherin.

Auch einer weiteren Hypothese der Verbotsbefürworter widerspricht Lange. Sie lautet: wenn einzelne Kunden Vorteile für sich heraushandeln, werden die Vermittler versuchen, sich die entgangenen Einnahmen von den Versicherungen zurückzuholen. Die Folge wären steigende Beiträge für alle Versicherten. Wenn dies stimme, müssten sich auch andere Anlageprodukte wie Fonds verteuern, bei denen Rabatte schon lange möglich seien. Das habe er aber nicht beobachten können, sagt der AVL-Chef. Seine Finanzplattform verdient ihr Geld, indem sie einen kleinen Teil der Verwaltungsgebühren von den Fondsgesellschaften erhält. Auf deren absolute Höhe habe man aber keinen Einfluss, betont Lange. Bei vermittelten Beteiligungen und geschlossenen Fonds bekomme das Unternehmen einen geringen Teil der Abschlussprovision. „Alle übrigen Provisionen erhalten unsere Kunden als Rabatt.“