Auf der Spiegel-Bestsellerliste steht Sarrazins Buch mittlerweile nur noch auf Platz acht, und der "Tagesspiegel" treibt Aprilscherze mit ihm.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Auf der Spiegel-Bestsellerliste steht sein Buch mittlerweile nur noch auf Platz acht, und der "Tagesspiegel" treibt Aprilscherze mit ihm. Der Noch-Sozialdemokrat Thilo Sarrazin, so meldete die Hauptstadtpostille am 1. April, kandidiere für die FDP. Das war weltexklusiv gelogen, und es soll, wie das Blatt tags darauf berichtete, einige Leser alarmiert und andere amüsiert haben.

 

Nicht amüsant ist, dass die Berliner NPD derzeit mit einem Satz von Sarrazin Wahlwerbung macht. "Ich möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden." Das steht zusammen mit seinem Namen auf einem Flugblatt der rechtsextremen Partei. Und es führt mitten hinein in die Kontroverse, die vor einem knappen dreiviertel Jahr ausgelöst wurde, als Thilo Sarrazin sein Buch "Deutschland schafft sich ab" veröffentlichte. Landauf, landab wurde über seine Thesen zu Einwanderung und den Eingewanderten, zu der begrenzten gesellschaftlicher Nützlichkeit und mangelnden Integrationsbereitschaft muslimischer Migranten und zu den genetischen Prägungen ganzer Bevölkerungsgruppen berichtet.

Von den einen gelobt, von den anderen verachtet

Damals wurde Tilo Sarrazin, der schon vorher einen Ruf als Provokateur in Armuts- und Einwanderungsfragen hatte, zur persona non grata auf der einen und zum Volkshelden und Bestsellerautor auf der anderen Seite. Während ihm Kritiker rassistische, sogar eugenische Thesen vorwarfen, lobten Anhänger Sarrazin dafür, dass er vermeintlich unterdrückte oder geleugnete Wahrheiten über das Einwanderungsland Deutschland und seine wachsenden Probleme mit den Zuwanderern aus der Tabuzone des Schweigens geholt habe.

Sarrazin erschütterte mit seinen Thesen die Republik und stürzte seine Partei in eine Zerreißprobe, auch wenn es heute etwas ruhiger um ihn geworden ist. Als erster beantragte im vergangenen Herbst sein SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf seinen Ausschluss, dem schlossen sich der Landesverband Berlin und der Bundesvorstand an. Sarrazins Thesen stünden "diametral zu den sozialdemokratischen Überzeugungen", sagte Parteichef Sigmar Gabriel zur Begründung. Dass Sarrazin die Verhaltensweisen von Menschen unterschiedlicher Herkunft genetisch begründe und in diesem Zusammenhang mit Begriffen operiere "die nahe an der Rassenhygiene liege" siedelte der SPD-Vorsitzende in der "Nähe nationalsozialistischer Theorien" an. Es sei mithin "unvereinbar mit sozialdemokratischen Grundwerten".

Viele Genossen identifizieren sich mit Sarrazin

Sarrazin will bis an sein Lebensende SPD-Mitglied werden

Am heutigen Donnerstag beginnt nun das Schiedsverfahren, bei dem über den Parteiausschluss von Thilo Sarrazin entschieden wird. Wahrscheinlich - ganz genau ist das nicht in Erfahrung zu bringen - findet es im Rathaus von Charlottenburg-Wilmersdorf statt. Wahrscheinlich, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, werde es nur diesen einen Verhandlungstermin der siebenköpfigen Kreisschiedskommission geben. Die Verhandlung ist nicht öffentlich, und die Beteiligten sind zum Stillschweigen verpflichtet. Sicher ist, dass es keine schnelle Entscheidung geben wird. Erstens hat die Kommission nach der Anhörung vier Wochen Zeit für ein Urteil. Zweitens können beide Seiten in Berufung gehen und erst die Landes- und dann die Bundesschiedskommission anrufen. Sarrazin hat angekündigt, er wolle bis an sein Lebensende SPD-Mitglied bleiben.

Das Problem für die SPD ist, dass sich nicht nur viele Bürger mit Sarrazins Auffassungen identifizieren, sondern auch viele Genossen. Als die Debatte am Kochen war, trafen massenweise Solidaritätsadressen für den Provokateur in der Parteizentrale ein. Damals sah sich die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles genötigt, den Mitgliedern einen Brief zu schreiben und die Haltung der SPD-Spitze zu erklären. Sarrazins Pauschalisierungen und Polemisierungen sowie sein deterministisches Menschenbild seien unvereinbar mit der SPD-Programmatik und dem Glauben an "eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten kann", schrieb sie damals. Heute vertritt sie die Bundes-SPD in dem Schiedsverfahren, das sich bis zur endgültigen Entscheidung monatelang hinziehen kann. Das ist durchaus im Interesse der Partei. Im Herbst sind schließlich Wahlen in Berlin. Und bis dahin will man weder die Kritiker noch die Anhänger des Provokateurs gegen sich aufbringen.