Provozierendes Design von Virgil Abloh Der Alleskönner

Virgil Abloh, ein Star-Designer, dem (fast) alles gelingt. Foto: AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Der Designer Virgil Abloh kollaboriert mit Nike, Ikea und Daimler – und hat sich nun einer absoluten Designikone angenommen: der Wandanlage von Dieter Rams. Ist Abloh nun der coolste Designer der Welt – oder doch nur ein genialer Ikonenschänder?

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Stuttgart - Früher kam man als weltberühmter Mensch mit einer einzigen Berufsbezeichnung aus. Cary Grant, Schauspieler. Oder Giorgio Armani, Modeschöpfer. Ein einfacher Titel reichte mal für eine lange Karriere. Heute erkennt man eine Berühmtheit daran, dass sie bei Bedarf so viele Berufe und Talente wie Tätowierungen präsentieren kann. Virgil Abloh zum Beispiel. Der Mann ist DJ. Architekt. Ingenieur (mit Abschluss). Modeschöpfer. Industriedesigner (ohne Abschluss). Influencer. Unternehmer. Gründer des Design-Labels Off-White. Kreativdirektor der Herrenmode-Kollektion von Louis Vuitton. Kurzum: Eine Visitenkarte von Virgil Abloh müsste DIN-A4-Größe besitzen.

 

Schicke Kabelbinder

Doch was macht der 40-Jährige anders als die anderen Designer? Ganz wichtig: Er erfindet nichts neu. Sondern verändert und veredelt schon vorhandene Designklassiker. Oder er rückt Alltagsdinge in ein neues Licht. Wie vor zwei Jahren, als Virgil Abloh für den Sportartikelkonzern Nike einen Schuh mit Kabelbindern statt mit Schnürsenkeln ausstattete, was wiederum dem Popstar Justin Bieber Ärger mit der Polizei bescherte. Bieber trug das Modell „Desert Ore“ von Nike – und wurde prompt von der Polizei aufgehalten. Der Beamte dachte, Bieber hätte die Turnschuhe geklaut, denn er verwechselte die Kabelbinder mit einer Diebstahlsicherung. Bieber entgegnete dem Polizisten: „Bro, das ist einfach nur Mode.“

Kaum bezahlbar

Mode? Das ist ein Paar millionenfach verkaufter Nike-Turnschuhe, die mittels kleiner Veränderungen zum neuen, limitierten und damit kaum bezahlbaren Kultsneaker wurden: den Off-White x Nike Air Max 90s. Wer sie dennoch aus der Nähe bewundern will, der kann sich ja den neu erschienenen Bildband aus dem Taschen-Verlag ins Regal stellen („Virgil Abloh. Nike. Icons.“)

Ohne Privilegien

Von Abloh stammt übrigens der legendäre Satz, man müsse ein Produkt nur um drei Prozent verändern, um es neu wirken zu lassen. Drei Prozent mehr oder weniger – das ist die simple Formel für den Erfolg von Virgil Abloh, der 1980 als Kind ghanaischer Einwanderer in Rockford, Illinois geboren wird und in Chicago aufwächst – ohne Privilegien, ohne Aussicht auf eine verheißungsvolle Zukunft. Mittlerweile zählt ihn das „Time-Magazine“ zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Dass ein Afroamerikaner in der Modebranche Erfolg hat, ist gar nicht mehr so außergewöhnlich heutzutage. Doch noch nie zuvor kam einer aus der Streetwear- und Skaterszene. Ein klassischer Außenseiter.

Teppiche für Ikea

Als Kind besucht Abloh eine katholische Schule, die Mutter ist Schneiderin, der Vater arbeitet in einer Lackfabrik. Der junge Virgil studiert Bauingenieurwesen und Architektur, er macht seinen Master, danach assistiert er dem Rapper Kanye West, der auch sein bester Freund ist. „Der Underdog, der zum Establishment aufstieg“, notierte einmal der Lifestyle-Blog Highsnobiety. Ende 2019 entwirft dann Virgil Abloh eine Teppichkollektion für Ikea, die ihn schlagartig berühmt macht, auch bei Leuten, die lieber Schlager als Kanye West hören. Teppiche für Ikea! Der traut sich was. Abloh kennt eben keinen Standesdünkel. „Meine Aufmerksamkeit gilt einer Generation, die sich gerne am Diskurs über Kunst und Design beteiligen möchte, aber häufig einfach keinen Zugang findet“, sagt er mal der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Arbeiten für Daimler

Insofern ist seine Arbeit politisch, denn er fügt dem Bestehenden ein X hinzu. Er kollaboriert, wie das heute so heißt, mit jedem, der ihm interessant scheint. Er hat kein Problem mit dem Populären und Politisch-Unkorrekten und kooperiert auch mit von Umweltverbänden argwöhnisch beäugten Konzernen wie Nike, Ikea oder auch Daimler. Die Schwaben beglückte er vergangenen Sommer mit einer Neuinterpretation des so begehrten wie verhassten G-Models, eines Geländewagens, der sich bei Rappern immer noch größter Beliebtheit erfreut.

Für den Moment

Zudem rüttelt Virgil Abloh an Gewissheiten einer bildungsbürgerlichen Elite. Muss Mode der Schönheit dienen? Wer sagt, dass gutes Design funktional sein soll? Solche Fragen provozieren. Im Auftrag der Firma Braun hat Abloh kürzlich die berühmte Wandanlage von Dieter Rams verchromen lassen. Diese Ikone des Musikdesigns funkelt nun wie eine polierte Autofelge, dabei steht das Werk von Rams für elegante Zweckmäßigkeit.

Der Kölner Design-Wissenschaftler René Spitz schrieb Abloh einen Kommentar unter dessen Instagram Posting. „Das hat nichts zu tun mit einer menschlichen Haltung moderner Gestaltung, mit dem Ziel, das Leben möglichst vieler Menschen zu verbessern. Was ich sehe ist Eye-Catching für den Moment.“ Damit könnte der angesehene Wissenschaftler René Spitz durchaus richtigliegen. Doch die mehr als fünf Millionen Follower von Abloh sehen das ganz anders – und das zählt heutzutage.

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