Neben dem 53-Jährigen sitzt auch sein Azubi auf der Anklagebank. Er soll geholfen haben.

Leonberg - Die Amtsrichterin Sandra De Falco ist gerade dabei, den Auszug aus dem Bundeszentralregister zu verlesen, als der Anwalt des angeklagten Firmenchefs dazwischen grätscht und die Vernehmung eines weiteren Zeugen beantragt. Der Aushilfsfahrer soll laut ihm beweisen, dass sein Mandant zu der von der Staatsanwaltschaft genannten Zeit gar nicht am Tatort war und folglich unschuldig ist. Die Richterin gibt dem Antrag statt, weshalb die Verhandlung am Leonberger Amtsgericht vertagt werden muss.

 

Dort muss sich derzeit der Geschäftsführer eines Autohaus-Verbundes im Altkreis wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung verantworten. Neben dem Mann sitzt auf der Anklagebank auch sein Auszubildender. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 25-jährigen Leonberger Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung vor. Doch auf Nachfrage der Richterin machen die beiden Männer keine Angaben zu der Tat, die sich im Juli vor einem Jahr abgespielt haben soll.

Der Chef soll mit einem Lederriemen zugeschlagen haben

Damals soll der angeklagte Azubi einen 34-Jährigen, der früher in einem der Autohäuser als Verkäufer gearbeitet hat, ins Reifenlager des Betriebs im Keller gelockt haben. Dort soll der Firmenchef dann mit einem Lederriemen an der Faust mehrfach auf den Simmozheimer eingeschlagen haben. Laut Anklage ließ er den ehemaligen Mitarbeiter dabei wissen: „Ich werde dich totschlagen, falls du jemandem davon erzählst!“

Der Simmozheimer ist bei seiner Aussage den Tränen nahe. Aus Angst bittet er die Richterin, dass sie im Beisein der Angeklagten auf die Nennung seiner Adresse verzichtet. „Mein Ex-Chef hatte einen Blick drauf, den ich nie vergessen werde!“, sagt der Mann über den Angriff, den er noch am gleichen Tag zur Anzeige gebracht hatte.

Azubi: „Ich wusste nicht, dass der Chef so drauf ist“

Damals trug er mehrere Hämatome am Rücken und Oberschenkel davon. Die Schläge an den Kopf habe er gerade noch abwehren können, weshalb nichts Schlimmeres passiert sei. Dass es eine abgekartete Sache war, davon ist er überzeugt. „Ich habe den Azubi später darauf angesprochen“, sagt er. Dieser habe gesagt: „Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass der Chef so drauf ist!“ Der Prügelattacke soll ein Streit um ausstehendes Gehalt vorausgegangen sein. „Nach einem Coaching sollte ich fortan nur noch am Telefon Autos verkaufen“, erzählt er. Nachdem er sich geweigert habe, habe sein Chef ihm im März 2016 gekündigt. Weil dem 34-Jährigen aber noch eine Provision zustand, zog er vor das Arbeitsgericht mit dem Ergebnis, dass der 53-Jährige die Kündigung wieder aufhob.

„Als ich dann im Juni zurückkam, forderte ich die drei entgangenen Monatsgehälter“, erklärt der Mann und erinnert sich: „Einmal schaute mich mein Ex-Chef grinsend an und meinte, dass ich dabei bin, seine Existenz zu gefährden.“ Nach seiner Rückkehr durfte er bis zu dem Vorfall laut eigener Aussage aber nicht mehr als Autoverkäufer arbeiten, sondern musste stattdessen Pakete ausfahren. Inzwischen habe er das Geld bekommen. „Wahrscheinlich hoffte mein Ex-Chef, dass ich mit der Zahlung die Anzeige zurückziehe“, mutmaßt er.

„Das ist ja schon fast wie in der Bibel“

Der Anwalt des Firmenchefs hakt nach. „Sie sind über 1,80 Meter groß und sportlich, während mein Mandant viel kleiner und älter ist als Sie“, sagt er. „Und Sie wollen mir erzählen, dass Sie sich bei dem angeblichen Angriff nicht zur Wehr setzen wollten?“ Der Verteidiger schüttelt ungläubig den Kopf und meint: „Das ist ja fast schon wie in der Bibel, zuerst die eine Wange hinhalten, dann die andere!“ In die Karten spielt ihm ein weiterer Auszubildender des Autohauses. Dem Geschädigten zufolge soll dieser vor dem Reifenlager Schmiere gestanden haben. Doch davon will dieser nichts wissen. „Ich kann mich nicht mehr an den Tag erinnern“, sagt er, versichert aber: „Im Reifenlager war ich erst kürzlich zum ersten Mal.“

Viel schlimmer als die körperlichen Verletzungen seien die psychischen Folgen für den Simmozheimer, der in der Verhandlung als Nebenkläger auftritt. „Ich habe Schlafstörungen und Angst vor dunklen Räumen, weil ich immer denke, da wartet einer auf mich“, erzählt der 34-Jährige, der damals mehrere Wochen arbeitsunfähig war und demnächst auch therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen möchte.

Die Richterin zitiert aus dem ärztlichen Gutachten: Posttraumatische Belastungsstörung steht dort geschrieben. Auf Anraten seines Arztes arbeitet der Mann jetzt wieder in einem Autohaus, um Normalität zu schaffen. „Aber mein Leben ist echt nicht mehr dasselbe“, sagt er geknickt.