Ein Großaufgebot der Polizei hat den Aufmarsch von Neonazis im Oktober 2013 in Göppingen gegen Proteste abgeschirmt. Doch hätten die Beamten die Gegendemonstranten auch einkesseln dürfen? Darum geht es vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen/Stuttgart - Es ist kein schwarzer Block, sondern eher ein buntes Völkchen, das sich am Donnerstag vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht eingefunden hat: Eine 52-jährige Frau, die als Assistentin der Geschäftsleitung eines mittelständischen Unternehmens arbeitet. Ein 28-jähriger Mitarbeiter einer Krankenversicherung, der von Berufs wegen Anzug trägt und im Ehrenamt die Kasse des Grünen-Kreisverbands Neu-Ulm führt. Oder ein 63-jähriger Rechtsanwalt, der nur seiner Tochter zuliebe am 12. Oktober 2013 nach Göppingen gekommen war. Noch immer ist er fassungslos darüber, was er dort erlebte. „Ich bin vier Jahrzehnte bei keiner Demonstration mehr gewesen“, sagt er. „Und dann das.“

 

Gegen den Aufmarsch der mittlerweile verbotenen Autonomen Nationalisten hatten er und die anderen demonstrieren wollen. Doch dann schlossen sie sich unvorsichtigerweise einem Demonstrationszug der Antifa an und fanden sich plötzlich in einem Polizeikessel wieder. Sieben Stunden lang mussten sie bei kaltem Nieselwetter ausharren, sie wurden durchsucht, erst nach vier Stunden gab es Dixiklos. Rechtswidrig sei diese Aktion gewesen, sind die insgesamt fünf Kläger überzeugt und reichten deshalb vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht Klage gegen die baden-württembergische Landespolizei ein. „Ich würde doch nie etwas gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung tun“, sagte ein ebenfalls zu den Klägern gehörender bayerischer Kommunalbeamter. „Einen Polizeikessel habe ich auch noch nie erlebt“, meinte ein weiterer Mitstreiter, der sich seit Jahrzehnten in der bayerischen Antiatomkraftbewegung engagiert.

Schon am Morgen spitzt sich die Lage zu

Was für die Kläger ein Kessel ist, nennt der damalige Einsatzleiter Martin Feigl „Umschließung“. Insgesamt 500 Personen seien an jenem Tag an vier unterschiedlichen Stellen der Stadt von solchen Gewahrsamnahmen betroffen gewesen. Natürlich könne man nicht ausschließen, dass im Einzelfall auch friedliche Demonstranten darunter gewesen seien. Doch habe sich die Lage schon am Morgen zugespitzt, sagt der Leitende Polizeidirektor. „Dabei waren da noch gar keine Rechtsextremisten in der Stadt.“ Doch offenbar habe sich die Antifa fest vorgenommen gehabt, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und die Aufmarschstrecke der Nazis zu blockieren.

Geradezu generalstabsmäßig sei sie dabei vorgegangen. Aufklärungsgrüppchen seien durch die Stadt gezogen, um Schwachstellen bei den Polizeiabsperrungen zu ermitteln. Über Twitter sei das weitere Vorgehen verabredet worden. Alle paar Minuten habe es wieder an einer anderen Stelle Durchbruchversuche gegeben. Nachdem das Verwaltungsgericht zwei Tage zuvor das Demonstrationsverbot für die Autonomen Nationalisten gekippt hatte, sei es aber die Aufgabe der Polizei gewesen, die Strecke frei zu halten und den Aufmarsch zu ermöglichen, ist Feigl überzeugt.

Es gibt auch „Anscheinend-Störer“

Der nun juristisch angegriffenen Einkesselung am Alten Kasten sei ebenfalls ein solcher Durchbruchversuch vorausgegangen. Dass viele der Nachströmenden möglicherweise davon gar nichts mitbekommen hätten, wollte er nicht ausschließen. „Die Antifa hat bürgerliche Demonstranten für ihre Zwecke eingespannt.“

Zur Sicherheit habe er entschieden, alle eingeschlossenen Gegendemonstranten so lange im Gewahrsam zu behalten, bis die letzten Neonazis die Stadt wieder verlassen hätten. So dauerte es bis 17.30 Uhr, ehe die Polizei die Demonstranten ziehen ließ. „Ich kann verstehen, dass Sie sich ungerecht behandelt fühlten. Aber auch wer selbst nicht stört, kann ein Anscheinend-Störer sein“, sagte der Richter Rolf Vondung. Ob dies ein Fingerzeig für das Urteil ist, zeigt sich an diesem Freitag. Dann wird der Tenor des Urteils bekannt gegeben.