Die Schlecker-Pleite erregte die Öffentlichkeit und machte tausende Beschäftigte arbeitslos. Jetzt beginnt der Prozess gegen den Ex-Patriarchen und seine Familie. Seine Verteidiger stellen Schlecker als ehrbaren Kaufmann dar.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Im Gesicht von Anton Schlecker regt sich nur einmal etwas. Da geht es um seine Enkel. Im März 2011, so der Vorwurf der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, habe er jeweils 200 000 Euro an seine vier Enkelkinder überwiesen. Er habe die drohende Insolvenz geahnt und auch auf diese Weise versucht, Geld beiseite zu schaffen. Fast unmerklich schüttelt Schlecker den Kopf. Weiß sieht das Gesicht des einstigen Drogeriekönigs aus. Als habe er schon lange kein Tageslicht mehr gesehen.

 

Dann nennt der Staatsanwalt die vollen Namen der Enkel und ihre Kontonummern. Es ist der Auftakt eines Prozesses, bei dem sich nicht nur Anton Schlecker, sondern seine ganze Familie auf der Anklagebank befinden. In vier Reihen sitzen sie eingerahmt von ihren Verteidigern im Sitzungssaal 18 des Stuttgarter Landgerichts: Der Patriarch Anton Schlecker, dahinter seine Frau Christa und ihre Kinder Meike und Lars. Sie schauen starr gerade aus.

Die Anklage listet jedes private Detail auf

Insgesamt soll Schlecker in 36 Fällen über 20 Millionen Euro in Sicherheit gebracht haben. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass vom 31. Dezember 2009 an, die Zahlungsunfähigkeit von Schlecker wahrscheinlicher war als deren Vermeidung.

Die Luft ist stickig in dem Raum mit der tiefen Decke. 120 Menschen fasst der Saal. Staatsanwalt Thomas Böttger nennt in seiner Anklageschrift jedes vermögensrelevante Detail aus dem Privatleben der Familie – angefangen bei den Geschenken an die Enkelkinder über eine Reise auf die Insel Antigua im Wert von 58 000 Euro, die Schlecker seinen Kindern geschenkt hat, über die überteuerten Verträge mit Firmen seiner.

Das liegt daran, dass Schlecker seine Kette, die zu Hochzeiten mit über 10 000 Filialen in ganz Europa mehr als sieben Milliarden Euro Umsatz gemacht hat, als eingetragener Kaufmann geführt hat. Ein solcher aber haftet mit seinem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten seines Unternehmens. Schafft er bei drohender Insolvenz Geld aus dem Firmen- oder seinem Privatvermögen beiseite, entzieht er es dem Zugriff der Gläubiger. Das ist nicht erlaubt. Juristen Sprechen hier von vorsätzlichem Bankrott. Fürs Beiseiteschaffen oder Verheimlichen von Vermögenswerten, die zur Insolvenzmasse gehören, sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor.

Die Verteidigung warnt vor einer Vorverurteilung

Als Anton Schlecker den Gerichtssaal betritt, blickt er in eine Wand aus Fotografen. Es ist seit Jahren sein erster Kontakt mit einer größeren Öffentlichkeit. Der einstige Drogeriekönig blinzelt und senkt dann den Blick.

„Anton Schlecker lebt und lebte immer zurückgezogen“, wird sein Verteidiger Norbert Scharf von der Kanzlei Grub Brugger aus München später sagen. „Er hat sich nie medial inszeniert, auch nicht in den überwiegenden, sehr erfolgreichen Jahrzehnten seines Lebens.“ Er wird davor warnen, Anton Schlecker zu verurteilen, bevor der Prozess angefangen hat. Denn: „Die Anklagevorwürfe sind unzutreffend.“ Schlecker habe keine Entscheidungen oder Verfügungen getroffen, um Gläubiger zu benachteiligen. „Die Insolvenz seines Unternehmens war für ihn schlicht unvorstellbar.“

Mit dem zurückgezogenen Leben ist es für Anton Schlecker vorerst vorbei. An bislang insgesamt 26 Verhandlungstagen will Roderich Martis, der Vorsitzende Richter der 11. Wirtschaftsstrafkammer am Stuttgarter Landgericht, Zeugen hören. Bis in den Spätherbst wird der Prozess sich ziehen. Die ehemaligen Schlecker-Beschäftigten wirken erregt, als der Staatsanwaltschaft die Renovierung der Wohnung von Schleckers Sohn Lars erwähnt. Über eine Million Euro hat Anton Schlecker dafür gegeben. Der Staatsanwaltschaft listet die einzelnen Posten auf. Dabei geht es um Einzelbeträge für die Inneneinrichtung, die teilweise höher sind als das, was eine Schlecker-Frau im ganzen Jahr verdient hat. Insgesamt haben 25 000 Menschen durch die Insolvenz ihren Job verloren. Viele ehemalige Beschäftigte haben noch Tausende Euro an offenen Forderungen, manche sind zum Prozessauftakt ins Landgericht gekommen. Sie haben sich noch vor 7 Uhr vor den Saal gestellt, damit sie auf jeden Fall eine Platz bekommen, wenn die Verhandlung um 9 Uhr beginnt. Sie wollen Gerechtigkeit, sagen sie.

Einst besuchten Schlecker und seine Frau anonym die Filialen

Für die Frauen wirken Reisen für Zehntausende Euro wie die pure Verschwendung. Sie sehen darin einen krassen Gegensatz zu der Art wie Anton Schlecker die Läden geführt hat: Die Einrichtung war spartanisch und die Besetzung teilweise so knapp, dass die Mitarbeiter nicht auf die Toilette gehen konnten oder Gefahr liefen, abends überfallen zu werden. Denn für Kriminelle war das knappe Personal fast eine Einladung.

Schlecker hat sich nie erklärt. Hat zu den Vorwürfen von Mitarbeitern und der Gewerkschaft Verdi nie Stellung bezogen. Und so hat sich das Bild des erbarmungslosen Kaufmanns immer weiter verfestigt.

Dabei sei Schlecker jede einzelne Filiale am Herzen gelegen, sagte der Münchner Unternehmensberater Norbert Wieselhuber nach der Insolvenz 2012. Wieselhuber kam im Juli 2010 ins Unternehmen und legte das Projekt Fit for Future auf, mit dem das Ruder bei Schlecker rumgerissen werden sollte.

Immer donnerstags und freitags seien Herr und Frau Schlecker inkognito durch die ganze Republik gefahren und hätten die Filialen überprüft, sagte Wieselhuber damals. „Wenn wir ihm aus betriebswirtschaftlichen Gründen eine Filiale nehmen wollten, war es so, als würden wir ihm ein Kind wegnehmen.“ Nur über Geld hätte der Patriarch nicht geredet. Schlecker habe nicht gewollt, dass Wieselhuber die Finanzierung des Zukunftskonzepts selbst in die Hand nimmt. „Stand bei unseren Lenkungsausschüssen die Frage nach der Finanzierung der Restrukturierung auf der Tagesordnung, hat Herr Schlecker diesen Punkt gestrichen“, berichtete Wieselhuber damals. Denn die Finanzierung sei eine Familienangelegenheit.

Hat er Vermögen beiseite geschafft?

Tatsächlich habe Schlecker in den Jahren, in denen er laut Staatsanwaltschaft schon von der drohenden Zahlungsunfähigkeit gewusst haben soll, 50 Millionen Euro in den Konzern investiert. „Das Geld stammte von der Gesellschaft LDG, in die laut Anklage ja Vermögen zu Lasten der Gläubiger des Einzelunternehmens verschoben worden sein soll“, sagt Scharf. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet, dass Schlecker mittels überteuerter Verträge mit der LDG, der Logistikfirma seiner Kinder, Geld beiseiteschafft hat. „Welcher Unternehmer investiert – folgt man der Anklage – bereits beiseite geschafftes Vermögen wieder in sein von der Insolvenz bedrohtes Unternehmen?“, gibt allerdings Verteidiger Scharf zu bedenken.

Er will nun nachholen, was Anton Schlecker all die Jahre unterlassen hat: Scharf will erklären, was für ein Mensch sein Mandant ist. „Anton Schlecker war ein schwäbischer Unternehmertyp klassischen Zuschnitts“, sagt Scharf. „Seine Firma war sein Lebenswerk, dies bis zuletzt.“ Ihm vorzuwerfen, dass er diese Überzeugung irgendwann aufgegeben habe, sei nicht haltbar, wenn man sich mit seiner Unternehmerpersönlichkeit beschäftigt.

Ein Bürger ist extra aus Ehingen angereist. „Ich will wissen, wie man hier mit Anton Schlecker umgeht“, sagt er. „Der Mann hat über viele Jahre so viele Menschen beschäftigt.“ Wenn ein Politiker ein Fehler mache, käme er in der Regel ohne Prozess davon, aber Schlecker. Der Mann winkt ab.

Persönlich äußert sich Anton Schlecker nicht an diesem Tag. Dass er den Anwalt seiner Tochter schlecht verstehe, soll das einzige bleiben, das er seinem Verteidiger an diesem Montag zuraunt. Und auch die Familienmitglieder bleiben der Schlecker Tradition treu. Und sagen nichts.