Der Geislinger Amtsrichter findet, dass die Staatsanwaltschaft im Falle von Sebastian Haller "mit Raketen auf Spatzen" geschossen hat.

Region: Andreas Pflüger (eas)
Geislingen - "Das ist Wahnsinn", entfährt es einem Besucher, als im Geislinger Amtsgericht die Bilder einer waghalsigen Skateboardfahrt über die Leinwand flimmern. Der Tonfall des Beobachters lässt grenzenloses Unverständnis, aber auch eine gehörige Portion Respekt erahnen. "Wahnsinnsfahrt", so hatte auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" getitelt, als die unscharfen Filmsequenzen im September 2008 im Internetportal Youtube zu sehen waren (Video siehe unten). Schließlich hatte der heiße Ritt auf dem Skateboard nicht irgendwo, sondern auf der Autobahn im Landkreis Göppingen, genauer gesagt am Drackensteiner Hang, stattgefunden.

Nachdem die Geschichte öffentlich geworden war, begannen Polizei und Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen. Nicht zuletzt aufgrund der Medienberichterstattung geriet der Stuttgarter Extremsportler Sebastian Haller, 2004 Weltcupsieger mit dem Longboard im Downhillfahren, in das Visier der Anklagebehörde. Schnell sollte sich allerdings auch zeigen, dass dem Skateboarder und den Mitgliedern seines Filmteams juristisch nur schwer würde beizukommen sein. Da die Fahrt nicht angezeigt worden war, sich also scheinbar kein Autofahrer genötigt oder gefährdet gefühlt hatte, schieden diese beiden Tatbestände schon wenige Wochen später aus.



Das Verkehrsvergehen – rechtlich gilt ein Skateboardfahrer als Fußgänger und hat demzufolge auf der Autobahn nichts zu suchen – war schon verjährt, da Haller die Fahrt bereits am 26. August 2007 angetreten hatte. Blieb letztlich der begangene Kennzeichenmissbrauch, für den sich der 32-Jährige zusammen mit einem 28 Jahre alten Kumpel aus dem Schwarzwald vor den Schranken des Gesetzes verantworten musste. Wenigstens fünf weitere an der Fahrt oder ihrer filmisch Dokumentation Beteiligte konnten trotz großen Aufwands indes nicht ermittelt werden. Und da die beiden beschuldigten Männer den gegen sie verhängten Strafbefehlen, in denen unter anderem auch Fahrverbote ausgesprochen worden waren, widersprochen hatten, kam es jetzt zur Verhandlung vor dem Geislinger Amtsgericht.

Fahrt war nicht ausführlich geplant


Dort räumten beide Angeklagte ihr Tun ein. Haller gab zu, auf einem speziellen Longboard, durchschnittlich mit Tempo 74 und auf einer Länge von drei Kilometern, die Autobahn hinuntergeskatet zu sein. "Das war ein Traum von mir, der durch den kurz zuvor frisch aufgetragenen Asphalt auf einmal möglich war", sagte er in einer Prozesspause. Sein Freund erklärte, das Kameraauto gelenkt zu haben, gefilmt wurde zudem vom Sozius eines Motorrads und mit einer Kamera, die über dem Knie des Skaters befestigt war. Beide bestritten indes, die Fahrt ausführlich geplant zu haben. Und schon gar nicht seien sie eingeweiht gewesen, dass an dem Zugmotorrad, das Sebastian Haller in Schwung brachte, sowie an einem weiteren Begleitfahrzeug die Nummernschilder abgeklebt worden waren.

Diesem Einlass wollte der Geislinger Amtsrichter Reinhard Wenger zwar keinen Glauben schenken und sprach von einer sehr wohl abgesprochenen und gut vorbereiteten Aktion, gleichwohl machte er aber auch deutlich, "dass die Staatsanwaltschaft in diesem Fall nicht mit Kanonen, sondern mit Raketen auf Spatzen geschossen hat". Überhaupt kein Verständnis brachte er für die verhängten Fahrverbote aus. "Weshalb sollte ich Ihnen verbieten, ein Auto zu benutzen, zumal nach einer so langen Zeit", fragte er rhetorisch und beließ es bei geringen Geldstrafen für beide Angeklagte. Immer wieder schimmerte bei Wenger sogar so etwas wie Respekt angesichts des waghalsigen Unternehmens durch: "Sportlich gesehen war das eine reife Leistung, und der Film ist gut gemacht, das darf man hier ruhig einmal sagen."