Wurden die LBBW-Eigner von der Krise 2007/2008 überrumpelt? Haben die Vorstände ihnen zu lange vorgegaukelt, dass der Kaiser prächtige Kleider trägt – obwohl er längst nackt war? Diesen und anderen Fragen soll das Gericht bei dem Prozess, der am Donnerstag startet, auf den Grund gehen.

Stuttgart - Wurden die Bankenaufseher von der Bankenkrise 2007/2008 überrumpelt? Haben die Vorstände ihnen zu lange vorgegaukelt, dass der Kaiser prächtige Kleider trägt – obwohl er längst nackt war? Die These ist nicht vollkommen abwegig. In den Verwaltungsratssitzungen traute sich kaum einer, Fragen zu stellen, sagt einer, der damals die Entwicklung bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hautnah miterlebt hat. Dabei wären Fragen zu den kundenfernen Geschäften der halbstaatlichen Bank – Verbriefungen, Anleihen, Kreditderivate und wie sie alle hießen – mehr als angebracht gewesen.

 

Schon im Sommer 2008 habe Vorstandschef Siegfried Jaschinski vor dem Gremium herumgedruckst und nur zögernd die Katze aus dem Sack gelassen: Die einst „bärenstarke Bank“, wie der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel sie nannte, werde im ersten Halbjahr einen Verlust von einer Milliarde Euro schreiben, hieße es damals. In den folgenden Monaten spitzte sich die Lage immer weiter zu. Island stand am Rand der Staatspleite; das Engagement dort hat die Bank insgesamt 800 Millionen Euro gekostet. Dann platzte die Rettung von Lehman Brothers. Die Eigentümer mussten handeln. Der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger und Sparkassenpräsident Peter Schneider rangen mit dem Vorstand um eine für alle Seiten tragbare Lösung. Die Eigentümer wollten nicht zu großzügig sein. Andererseits sollte unbedingt vermieden werden, dass die Kapitalspitze bei einer Verschärfung der Krise nicht ausreicht.

Der entscheidende Satz steht auf Seite 149

Am 21. November haben die Eigner bei ihrer Zusammenkunft in der sogenannten Trägerversammlung beschlossen, dass die LBBW „zur Erreichung und Sicherstellung einer angemessenen und im Wettbewerbsumfeld inzwischen erforderlichen Eigenkapitalausstattung“ fünf Milliarden Euro an frischem Kapital und vermutlich noch eine Garantie in Höhe von 15 bis 20 Milliarden Euro erhalten solle. Der Tenor der Ad-Hoc-Meldung war so gehalten, dass das Ganze nicht zu alarmistisch klang: Zwar sei bis Ende September ein Verlust von etwa 800 Millionen Euro angefallen und auch das Jahresergebnis nach den internationalen Bilanzrichtlinien (IFRS) werde negativ sein; der Einzelabschluss nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) werde aber wohl positiv ausfallen, hieß es in der Mitteilung.

Die Dramatik der Lage erschließt sich daraus kaum. Ähnlich verhält es sich mit dem Geschäftsbericht. Zumindest im Vorwort von Vorstandschef Jaschinski und in den Einleitungen von Oettinger und Schneider sieht die LBBW-Welt nicht aus, als sei sie in ihren Grundfesten erschüttert worden. Fast schon suchen muss man in dem Wälzer den Nachtragsbericht auf Seite 149, in dem die „Eckpunkte“ zur Kapitalerhöhung nochmals erläutert werden. Nur die Aussage, dass sich die Fähigkeit, Risiken zu meistern im Januar und Februar 2009 „nochmals verschärft“ habe, geht über das bereits an anderer Stelle Erwähnte hinaus.

Schon die unrichtige Darstellung ist strafbar

Das Ganze hat jetzt ein juristisches Nachspiel. Am Donnerstag beginnt in Stuttgart der Strafprozess gegen die Ex-Bankvorstände. Es mag seltsam anmuten, dass die Staatsanwaltschaft dem Vorstand Bilanzfälschung beim Abschluss 2008 vorwirft – in einem Geschäftsbericht, der im April 2009 fertig gestellt wurde. Wer wurde durch den Bericht getäuscht, wo doch im Frühjahr jeder wissen konnte, dass es ohne staatliche Stützung eng würde für die größte deutsche Landesbank?

Die Behörde verfolgt, so hat sich auch im Prozess gegen den ehemaligen Porsche-Vorstand Holger Härter gezeigt, ein abstraktes Rechtsschutzinteresse. Demnach muss keine konkrete Person durch den Abschluss getäuscht worden sein. Schon die unrichtige oder verschleiernde Darstellung ist strafbar.

Stille Lasten werden eine zentrale Rolle spielen

Die Vorwürfe seien abstrus, sagt Sparkassenpräsident Schneider, damals Chef des Verwaltungsrats – also des Kontrollgremiums, das ähnliche Aufgaben wie ein Aufsichtsrat hat. Die Träger hätten die Bank unter Schmerzen saniert. Inzwischen seien die Soldaten verwundet aus dem Kampf zurückgekehrt – und „ein Kasernenobrist tadelt sie, weil an den Uniformen nicht mehr alle Knöpfe dran sind.“

Geht es wirklich nur um nachrangige Formalien? Wer tiefer in die Materie einsteigt, stößt auf Themen, die den Vorstand ebenso wie die Eigentümer betreffen. Ein wichtiger Punkt, so ist aus verlässlichen Quellen zu hören, werden in dem Prozess die stillen Lasten in der Bilanz 2008 sein. Bemerkenswert ist, dass sie in den Lageberichten gar nicht erwähnt werden. Doch sie beeinflussen das Jahresergebnis erheblich. Durch Umkategorisierungen von Beständen des problematischen Kreditersatzgeschäftes wurde ein noch höherer Jahresverlust vermieden. Der Fehlbetrag lag ohnehin schon bei fünf Milliarden Euro nach Steuern. Gleichzeitig haben sich die stillen Lasten 2008 von 563 Millionen auf sage und schreibe 5,6 Milliarden Euro erhöht, zu Lasten des Eigenkapitals.

Lange Diskussionen im Verwaltungsrat

In der Verwaltungsratssitzung am 24. April 2009, als das Gremium den Jahres- und Konzernabschluss 2008 erörtert und ohne Einwände passieren hat lassen, waren die stillen Lasten denn auch Gegenstand längerer Diskussionen. Während der dreistündigen Sitzung erläuterte der – nun wegen Beihilfe zur Bilanzfälschung mitangeklagte – Abschlussprüfer von Pricewaterhouse-Coopers (PwC), warum sie um gut fünf Milliarden Euro gewachsen sind. Bei einigen Papieren in der Bilanzkategorie Kredite und Forderungen (Loans and Receivables, LaR) habe man unterstellt, dass die Wertminderungen nur vorübergehend seien. Deshalb konnten sie aus der Gewinn- und Verlustrechnung herausgenommen und als stille Lasten gebucht werden. Parallel wurden Produkte von der Kategorie Available for Sale (zu deutsch: zum Verkauf bereitgehalten) in Kredite und Forderungen umgewidmet, wieder um negative Effekte in der Bilanz zu vermeiden. In diesem Fall ging es um 3,1 Milliarden Euro in der Neubewertungsrücklage, einer ebenfalls erfolgsneutralen Eigenkapitalposition.

So ohne Weiteres wollten die Verwaltungsräte das nicht abnicken. In dem Protokoll der Sitzung, das der Stuttgarter Zeitung teilweise vorliegt, sind hierzu zahlreiche Fragen vermerkt. Insbesondere die Anhäufung stiller Lasten beunruhigte die Aufseher. Nils Schmid, damals finanzpolitischer Sprecher der Landtags-SPD, heute Wirtschafts- und Finanzminister, bohrte ebenso nach wie etwa der Unternehmer Heinz Dürr. Jaschinski verteidigte das Vorgehen: Auch früher habe man stille Lasten gebildet, die „nicht gezeigt“ worden seien.

„Das ist Sache des Vorstandes“, sagt Finanzminister Schmid

Dass die stillen Lasten unberücksichtigt blieben, hatte weitreichende Folgen dafür, wie das Institut seine Fähigkeit berechnete, Risiken schultern zu können, wie aus dem Protokoll hervorgeht. Der Kapitalpuffer sei von fünf Milliarden auf nur noch zwei Milliarden Euro geschrumpft, führte Eugen Schäufele, der inzwischen pensionierte Chef der Kreissparkasse Reutlingen aus. „Diese Entwicklung verdeutlicht nochmals die dringend notwendige Erhöhung des Eigenkapitals um fünf Milliarden Euro und die Erforderlichkeit einer Risikoimmunisierung“, heißt es in dem Bericht.

Warum, so fragen sich Branchenkenner, schieben Eigentümervertreter die gesamte Verantwortung jetzt auf den Vorstand? „Die Vorwürfe tangieren die Eigentümer nicht. Es geht um Bilanzierungsfragen. Das ist Sache des Vorstandes“, sagte Finanzminister Schmid im Dezember in einem StZ-Interview. Berührt der Vorwurf, dass der existenziell notwendige Kapitalbedarf verschleiert worden sei, die Träger wirklich nicht? „Die Frage nach dem Kapitalbedarf könnte allenfalls die damalige Trägerversammlung tangiert haben“, antwortete Schmid. Und in dem Gremium sei die SPD damals nicht vertreten gewesen. Schmid saß mehrere Jahre im Verwaltungsrat.

Aktuell wollte sich der Minister auf Anfrage nicht mehr zu der Thematik äußern. Seine Sprecherin verwies auf das „laufende Verfahren“. Auch die Staatsanwaltschaft will vor Beginn des Prozesses nichts sagen.