„Ich habe versucht, ihm in Freiburg einen guten Start zu ermöglichen“, sagt ein Freund im Prozess gegen Hussein K. Doch der hatte nur Alkohol und Drogen im Sinn.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Freiburg - Zusammen sind sie über die Schnee bedeckten Berge im iranisch-türkischen Grenzgebiet gestapft, waren Schleusern ausgeliefert, verbrachten die Nächte in Kellern und leer stehenden Fabriken und suchten auf griechischen Urlaubsinseln im Müll nach Essbarem. Jetzt sehen sich die beiden im Freiburger Landgericht wieder. Der eine, Hussein K., sitzt zusammengesackt auf der Anklagebank und scheut den Blick. Vor fast genau einem Jahr soll er die 19-jährige Freiburger Medizinstudentin Maria L. auf ihrem Heimweg von einer Unifete überfallen, vergewaltigt und getötet haben. Der andere ist als Zeuge geladen. Aufrecht sitzt er da, konzentriert beantwortet er die Fragen der Richterin. Zuvor hat er klar gestellt, dass er keinen Dolmetscher benötige. „Ich mache das lieber auf Deutsch“, sagt er.

 

Alle Mahnungen helfen nichts

Sie waren einmal Freunde – sogar beste Freunde, wie der Zeuge einräumt. Jetzt sind sie ein Beispiel für zwei komplett verschiedene Flüchtlingskarrieren und dafür, wie unterschiedlich manche Menschen ihre Chancen nutzen. Natürlich fehle ihm manchmal seine Familie, sagt der junge Mann, der noch keine 13 Jahre alt war, als er Afghanistan verließ. „Aber wenn man sich integriert, fühlt man sich nicht einsam.“ Demnächst macht der 20-Jährige seinen Schulabschluss. Hussein hingegen habe immer mehr gejammert. „Er ging bekifft in die Schule – oder er blieb ganz zuhause.“ Ständig habe er Alkohol getrunken, Drogen konsumiert und im Freiburger Colombipark die falschen Freunde getroffen. „Ich habe ihm gesagt, dass das zu nichts führt. Aber das ging links rein und rechts raus.“

Auf der gemeinsamen Flucht habe man sich angefreundet. „Wir waren vier Jungs.“ Nur die beiden schafften es nach Europa. Ihre Wege trennten sich auf Korfu. Da sei Hussein eines Morgens plötzlich weg gewesen. Von einem Bekannten erfuhr er, dass er verhaftet worden war. Er habe seinen Freund für freundlich, fröhlich, auch etwas zart und schüchtern gehalten. „Aber das war, bevor ich das alles erfahren habe.“ Hussein K. hatte eine Studentin überfallen und die Klippen hinunter geworfen. Die junge Frau überlebte schwer verletzt.

Die Pflegeeltern sagen später aus

Hussein K. wurde zu zehn Jahren Jugendhaft verurteilt. Der Freund zog allein weiter und fand in Freiburg eine neue Heimat. Als sich Hussein K. fast drei Jahre später über Facebook wieder bei ihm meldete – Griechenland hatte ihn vorzeitig aus der Haft entlassen –, habe er sich gefreut. „Ich habe ihm empfohlen, nach Freiburg zu kommen, und versucht, ihm einen guten Start zu bereiten.“ Die Tat von Korfu habe ihm Hussein als tragischen Unfall dargestellt. „Das habe ich ihm geglaubt.“

Vor seinen Freiburger Pflegeeltern habe Hussein K., der sich bei seiner Einreise nach Deutschland als minderjährig ausgegeben hatte, seine Alkohol- und Drogenexzesse verheimlicht, berichtete der Zeuge. Husseins Kontakt zu ihnen sei nach seiner Beobachtung gut gewesen. Persönlich sagten die Pflegeeltern am Donnerstag nicht aus. Wegen der fortgeschrittenen Zeit hat das Gericht ihr Auftreten verschoben. Ein neuer Termin steht noch nicht fest.

Hussein erinnert sich „an etwas Schlimmes“

Stattdessen berichtete ein ehemaliger Mitgefangener, was ihm Hussein K. in der Untersuchungshaft anvertraut habe. Er sei nicht minderjährig, sondern schon 27 und werde als alter Mann das Gefängnis verlassen. Zudem habe K. minutiös den Ablauf vor der Tat geschildert: wie er mit Freunden Alkohol getrunken und Drogen konsumiert habe, wie er an einem Dönerstand und vor einer Disco wegen seiner Volltrunkenheit weggeschickt worden sei, wie er schließlich mit der Straßenbahn nach Littenweiler gefahren sei, dort eine Frau angesprochen habe und von ihr ebenfalls abgewiesen worden sei. Dass er vor der Polizei auch Angaben zum eigentlichen Tatablauf auf dem Dreisamradweg hinter dem Schwarzwaldstadion gemacht habe, wollte der Zeuge nicht mehr bestätigen. Hussein K. habe ihm nur erzählt, dass er am nächsten Morgen im Wissen aufgewacht sei, dass er irgendetwas Schlimmes getan habe.

Für den Zeugen klang das logisch. „In unserer Kultur heißt es: Jeder hat eine Mutter oder eine Schwester.“ Hussein K. wisse: Sobald herauskomme, dass er sich an einer Frau vergangen habe, wolle kein Landsmann mehr etwas mit ihm zu tun haben. Was nicht zu dieser Version passt: Der Zeuge will von Hussein K. auch erfahren haben, dass dieser bereits in Teheran als 14-Jähriger eine zwölfjährige Nachbarstochter vergewaltigt habe. Zu einem Gerichtsverfahren sei es dort nicht gekommen. Stattdessen hätten die Familien das unter sich geregelt. Hussein sei von seinem Vater vor den Augen der Nachbarschaft bis zur Bewegungslosigkeit verprügelt worden. Eine Hochzeit der beiden habe der Vater des Mädchens abgelehnt. Der Freiburger Prozess wird am 10. Oktober fortgesetzt.