Beim Eppinger Nachtumzug haben Narren eine junge Frau in einen Kessel heißen Wassers getaucht. Ein 33-Jähriger steht nun vor Gericht. Doch war er der Schuldige?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Eppingen - Die 18-Jährige schreit: „Zieht mir die Schuhe aus.“ Doch die Freunde können ihr kaum helfen, weil sich die junge Frau hin und her wälzt, als läge sie auf heißen Kohlen. Ihre Beine sind nass, und sie sind heiß. Gerade stand sie knietief in kochendem Wasser. Ganz weiß sei die Haut gewesen, sagt eine Zeugin später. Noch auf dem Eppinger Marktplatz (Kreis Heilbronn), wo die junge Frau dem Nachtumzug zugeschaut hat, beginnt sich die Haut abzulösen. Eine Woche bleibt die Frau auf der Intensivstation, einen Monat im Krankenhaus. Immer wieder muss sie operiert werden. Auch jetzt, zehn Monate danach, habe sie noch Schmerzen, sagt die junge Frau. „Ich kann nicht lange ruhig stehen.“ Die Beine sind vernarbt. Ins Schwimmbad traue sie sich nicht mehr.

 

Gegenüber auf der Anklagebank im Heilbronner Amtsgericht sitzt ein Mann, der sich nun wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten muss. Der 33-jährige Versicherungskaufmann trägt einen Vollbart, Glatze und eine Brille. Gerade erst hat er geheiratet. Sein polizeiliches Führungszeugnis ist makellos. Als die Fotografen kommen, hält er ein I-Pad vor sein Gesicht, auf dem der Schriftzug seines Anwalts Manfred Zipper als Bildschirmschoner zu sehen ist. Der Jurist zieht dann alle Register. Was der Frau widerfahren sei, sei zwar bedauerlich. „Aber mein Mandant ist nicht derjenige, der die Folgen verursacht hat.“ Als nach monatelangen Ermittlungen ausgerechnet ihm die Anklageschrift zugegangen sei, sei sein Mandant regelrecht „von den Socken“ gewesen.

Ein Freund zieht die Frau aus dem Kessel

Zippers Verteidigungsstrategie ist klar: Bei dem Eppinger Nachtumzug sei es drunter und drüber gegangen. Die Hexengruppe seines Mandanten aus dem wenige hundert Einwohner zählenden Kraichtaler Ortsteil Bahnbrücken (Kreis Karlsruhe) war als zweitletzte auf der Umzugsstrecke. Ihr kamen zum Zeitpunkt des Unfalls bereits wieder zahlreiche Narren entgegen. Jede Hexe aus seiner, aber auch aus jeder anderen Gruppe hätte die 18-jährige Nebenklägerin schnappen, zu dem mit Feuer beheizten Kessel der Gruppe tragen und über das kochende Wasser halten können. Dabei, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, sei die Frau aus Versehen in den Topf gerutscht. Erst ein Freund zog sie geistesgegenwärtig wieder heraus.

Die junge Frau selbst erinnert sich nicht genau. Ein Freund habe sie in die Arme der Hexen geschoben. Man solle sie mitnehmen, habe er scherzhaft gesagt. Wie es halt so üblich ist bei Narrenumzügen. Sie sei ergriffen und über den Bottich gehalten worden. So wie sie erzählen es auch ihre Freunde: im Passiv. Erst auf Nachfragen sprechen sie von einer Hexe, einem großen Mann mit Felljacke und Maske. Es könnte die Verkleidung des Angeklagten sein. Seine Maske und die seiner Frau, die ebenfalls bei dem Umzug dabei war, hat der 33-Jährige in den Gerichtssaal mitgebracht und vor sich auf den Tisch gelegt. Sie sind aus Plastik, wie man sie im Drogeriemarkt kaufen kann.

Der Verteidiger sieht Ungereimtheiten

Eindeutig ist der Fall damit noch lange nicht. Denn in fast allen Aussagen entdeckt der Rechtsanwalt Ungereimtheiten in wichtigen Details. Wer stand wo, wie wurde das Opfer gegriffen, welche Hexe hob den Deckel vom Bottich? Und ausgerechnet diejenigen mit der mutmaßlich besten Sicht wollen am wenigsten gesehen haben. Immer wieder gibt es Lücken in den Schilderungen an den immer wieder gleichen Stellen. Und erstaunlich: keiner der Freunde wagt es, der Nebenklägerin in die Augen zu blicken, wenn er den Saal verlässt.

Nicht nur für die junge Frau, auch für das kleine Bahnbrücken (Kreis Karlsruhe) ist die Teilnahme am Eppinger Nachtumzug im vergangenen Februar als Horrortrip in Erinnerung geblieben. „Das war eine Hexenjagd“, sagt der Angeklagte in einer Verhandlungspause. Das ganze Dorf sei regelrecht heimgesucht worden, beschwert sich ein anderer, der einstige Chef der Bohbrigga Hexabroda, bei einer Journalistin. Die ohnehin nur lose verbundene Fasnachtsgruppe ohne feste Uniform hat sich seither nicht mehr getroffen.

War der Kessel unbeaufsichtigt?

Die Bahnbrücker Zeugen tragen allerdings auch nicht unbedingt zur Wahrheitsfindung bei. Die Männer hätten sich abwechselnd um den Wagen gekümmert, sagt eine Frau. Doch auch von den Männern will keiner die entscheidende Szene beobachtet haben. Ob es sein könne, dass der Kessel mit dem heißen Wasser zeitweise unbeaufsichtigt gewesen sei? Eigentlich nicht, meint eine Frau. Das wäre ja auch schon wieder fahrlässig. Am Mittwoch wird der Prozess mit weiteren Zeugen fortgesetzt.