Vier mutmaßliche Neonazis müssen sich vor dem Landgericht Stuttgart wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten. Der Prozess begann unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen, weil die Gruppierung als gefährlich gilt.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart/Göppingen - Mehrere Jahre lang hat sich der harte Kern der rechtsextremen Gruppierung „Autonome Nationalisten Göppingen“ (ANGP) einmal im Monat konspirativ in einem Keller eines Sympathisanten getroffen. Die 15 Teilnehmer sollen dabei unter anderem per Handzeichen darüber abgestimmt haben, wie man den politischen Gegner – vor allem linke Gruppierungen – einschüchtern könnte. Bei Bedarf schreckte man auch nicht vor Gewalttaten und Todesdrohungen zurück.

 

Vorwurf der kriminellen Vereinigung

Seit Donnerstag müssen sich vier mutmaßliche ANGP-Kader am Landgericht wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten, die das Ziel hatte, Straftaten zu begehen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern unter anderem vor, versucht zu haben, eine Revolution anzuzetteln, um eine nationalsozialistische Diktatur nach dem Vorbild des sogenannten Dritten Reichs zu etablieren. Der Prozess begann mit scharfen Sicherheitsvorkehrungen, weil die Gruppierung als militant und gefährlich gilt. Der Landesinnenminister verbot die ANGP daher vor einem Monat.

Die 23 bis 34 Jahre alten Männer aus den Kreisen Göppingen und Esslingen sollen von Ende 2009 bis zu ihrer Festnahme vor einem Jahr eine ganze Reihe von Straftaten selbst begangen und ihre „Kameraden“ zu Gesetzesverstößen angestiftet haben. Zu den mehr als 50 Vorwürfen zählen Körperverletzungen, Volksverhetzung, das Verwenden von Nazisymbolen, Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Bedrohungen und Verstöße gegen das Waffengesetz.

Gruppierung vor allem im Kreis Göppingen aktiv

Die Mitglieder und Unterstützer der ANGP waren in den vergangenen Jahren im Raum Göppingen, aber auch in Stuttgart, Leonberg und Plochingen aktiv. Sie schmierten Symbole und Parolen an Wände und Brücken, überzogen die halbe Stadt mit einschlägigen Aufklebern, beleidigten ihre politischen Gegner und drohten ihnen. Zudem gab es tätliche Übergriffe.

Anonym Todesdrohung verschickt

Ein Höhepunkt der Provokationen war im März 2013 ein Angriff auf einen Infostand des Bündnisses „Kreis Göppingen nazifrei“. Gegner der ANGP hatten sich im Widerstand gegen die rechtsextreme Gruppierung zusammengeschlossen. Hinzu kam Anfang Oktober 2013 ein anonymes Schreiben, in dem die ANGP ankündigte, einen Aktivisten, der mittlerweile Grünen-Stadtrat ist, und dessen Vater umzubringen: Solche Leute seien „auszumerzen“. Wenige Tage später führte eine Kundgebung mit Neonazis durch die Stadt.

Zwei Angeklagte sitzen in U-Haft und zwei sind frei

Seit einer Razzia im Februar 2014 sitzen die 28 und 34 Jahre alten mutmaßlichen Rädelsführer aus Uhingen und Reichenbach in U-Haft. Die 23 und 31 Jahre alten Beschuldigten aus Göppingen und Eislingen sind derweil wieder auf freiem Fuß. Sie wollen die Vorwürfe im Prozess offenbar einräumen. Einer der beiden ist Daniel R., der ehemalige Landesvorsitzende der Partei „Die Rechte“. Er befindet sich mittlerweile in einem Ausstiegsprogramm.

Daniel R. soll der Hauptorganisator der ANGP gewesen sein, Manuel G. der „intellektuelle“ Kopf und Macher der Homepage der Rechtsextremen. Manuel M. habe die Website technisch begleitet, Stephan H. soll Spenden gesammelt und als Kassenwart fungiert haben, so der Staatsanwalt.

Anwälte beantragen, das Verfahren einzustellen

Am Donnerstag wurde die mehr als 100-seitige Anklage verlesen. Die Anwälte der beiden Angeklagten, die noch hinter Gittern sitzen, beantragten danach unter anderem, die Verfahren gegen ihre Mandanten einzustellen, weil die Kosten für den Mammutprozess in keinem Verhältnis zu den Straftaten stünden, die ihnen vorgeworfen würden. Fast hundert Prozesstage sind bis Januar 2016 terminiert. Das Verfahren wird am Freitag fortgesetzt.