Ein mutmaßlicher „Reichsbürger“ soll in Lörrach einen Polizisten bewusst angefahren haben. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ist er wegen des Verdachts des versuchten Mordes angeklagt. Beim Prozessauftakt redet er viel, zum Vorwurf sagt er jedoch nichts.

In zahlreichen Spielfilmen sind sie mittlerweile schon thematisiert worden: Sogenannte Reichsbürger, die vor staatlichen Institutionen keinen Respekt haben und meinen, über dem Gesetz zu stehen. Auch Manfred J. soll diese Ideologie vertreten. Für ihn soll die Rechtslage des Großherzogtums Baden von 1918 gelten, zumindest laut Anklage des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom August. Seit Montag muss sich der 62-Jährige nun vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Er soll im Landkreis Lörrach versucht haben, einen Polizeibeamten aus niederen Beweggründen zu töten.

 

Mann rast alkoholisiert durch Ortschaft

Der Vorwurf lastet schwer: Am späten Abend des 7. Februar soll der Angeklagte zunächst mit 70 bis 80 Kilometern pro Stunde alkoholisiert durch seinen Wohnort Wintersweiler gefahren sein – letztlich wurden 1,26 Promille gemessen. Aufgrund seiner Fahrweise fiel er offenbar der Polizei auf. Zunächst sei er den Anweisungen der Beamten noch gefolgt, habe seinen Wagen gestoppt. Als sie ihn jedoch baten, die Scheibe zu öffnen, soll er wieder aufs Gaspedal gestiegen sein. Laut Anklage folgte eine Verfolgungsjagd, die gegen 23.10 Uhr auf einer dreispurigen Bundesstraße endete. Mehreren Streifen gelang es, den Mercedes auszubremsen.

Absichtlich auf Polizisten zugesteuert

Anschließend eskalierte die Verkehrskontrolle jedoch endgültig. Manfred J. soll nicht nur den Rückwärtsgang seiner A-Klasse eingelegt und mit viel Schwung ein Polizeiauto, das hinter ihm stand, gerammt haben. Ihm wird auch vorgeworfen, anschließend absichtlich auf einen Polizeihauptkommissar zugesteuert zu haben, obwohl genug Platz zur erneuten Flucht gewesen wäre. Der Beamte soll noch versucht haben, dem Wagen auszuweichen, wurde aber vom Fahrzeug erfasst. Der Polizist soll über die Motorhaube geflogen und rund acht Meter über den Boden gerutscht sein. Dabei hatte er sich schwere Verletzungen, unter anderem im Gesicht, zugezogen. Die Einsatzkräfte vor Ort sollen insgesamt 17 Schüsse in Richtung der A-Klasse abgefeuert haben, dabei trafen sie den Beschuldigten am rechten Oberarm.

Manfred J., der seit seiner Festnahme inhaftiert ist, hat laut Anklage gleich zahlreiche Verstöße begangen. Weil er in Kauf genommen habe, den Polizisten auch tödlich zu verletzen, steht er in erster Linie wegen des Verdachts des versuchten Mordes vor Gericht. Zuschauer, die sich zum Prozessauftakt auf einen „Reichsbürger“ eingestellt hatten, der das Staatsorgan renitent missachtet, wurden enttäuscht. Der Begriff fiel genau ein einziges Mal bei der Verlesung der Anklageschrift, ansonsten stand der Mann den drei Richtern ruhig Rede und Antwort, erzählte rund eineinhalb Stunden mehr oder wenig chronologisch von seinem Leben. Er berichtete von seiner Leidenschaft zur Musik – er spielte Trompete und Posaune in mehreren Vereinen – und von seiner 44-jährigen Berufslaufbahn als Schreiner, in der er keinen Tag arbeitslos gewesen sei.

An Minderwertigkeitskomplexen gelitten

Der Angeklagte, der in Saal 18 viel über „Vati“ und „Mutti“ sprach, habe eine schwere Kindheit gehabt. Dabei bezeichnete er sich selbst als „introvertiert und traurig“. Er habe unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten und als Jugendlicher suizidale Gedanken gehabt. Auch ein Herzfehler, der im Alter von 12 Jahren operativ behoben wurde, soll seine Entwicklung gehemmt haben. Gesundheitliche Probleme, wie regelmäßig wiederkehrende, hartnäckige Erkältungen und Herzrhythmusstörungen, habe er später unter anderem mithilfe von Naturheilkunde in den Griff bekommen. Er selbst habe sich vor rund zehn Jahren in dem Bereich ausbilden lassen und im Anschluss auch selbst Qigong-Kurse gegeben. Obwohl seine Mutter aber letztlich aufgrund einer verpfuschten Operation gestorben sei, habe er grundsätzlich noch vertrauen in die Schulmedizin, „sonst säße ich schließlich heute nicht mehr hier“.

Corona-Pandemie belastet die Psyche

Vor allem zu Beginn der Verhandlung zitterte die Stimme von Manfred J. ein wenig, regelmäßig griff er zu einem Taschentuch, um sich seine laufende Nase zu putzen. In seinen Schilderungen holte er teilweise weit aus, bei Fragen zu den Anschuldigen machte er jedoch von seinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Er ließ nur durchblicken, dass er in den Wochen vor der vermeintlichen Tat in ein tiefes Loch gefallen sei. „Ich habe sehr unter den Repressionen der Pandemie gelitten. Sie waren unerträglich, haben mich psychisch runtergezogen.“ Dementsprechend habe er sich „schlecht gefühlt“, viel Zeit im Bett verbracht und sich im Januar 2022 krankschreiben lassen. Im Lockdown habe er vermehrt zu Süßigkeiten und Alkohol gegriffen, betonte der Angeklagte, der die besagte Nacht im Februar beim Prozessauftakt als das „Schlimmste“ bezeichnete, was ihm je widerfahren sei.

Mehr Details werden wohl am Freitag, 18. November, bekannt gegeben. Am zweiten Prozesstag werden ab 9 Uhr vier Polizisten, die vor Ort waren, in den Zeugenstand gebeten. Unter anderem soll auch der Polizeihauptkommissar, der schwer verletzt wurde, zu Wort kommen. Die Auswertung der Bodycam-Aufnahmen steht ebenfalls an.