Das Verfahren im Stammheimer Hochsicherheitstrakt gegen Mitglieder der türkischen Rockergang dauert bis mindestens Februar. Der Richter Holzhausen deutet hohe Haftstrafen für einige Angeklagte an.

Stuttgart - Nach 35 Verhandlungstagen ist noch kein Ende des Mammutverfahrens in Sicht. Auf der Anklagebank sitzen seit März acht zum teil führende Mitglieder der türkischen Rockergang Osmanen Germania, 21 Taten werden ihnen vorgeworfen, von Tötungsversuch über exzessiver Gewalt bis zu Zwangsprostitution. Unzählige Zeugen wurden schon gehört. Plädoyers oder ein Urteil sind nicht in Sicht. Allerdings hat der Richter Joachim Holzhausen in einer so genannten „Erörterung des Verfahrensstands“ angedeutet, wo der Prozess steht, der immernoch unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen in der Stammheimer JVA stattfindet.

 

Die höchste Strafe könnte demnach der Stuttgarter Osmamen-Chef Levent Uzundal (36) erhalten. Er wurde in der Verhandlung immer wieder für gravierende Straftaten verantwortlich gemacht – ihm könnten bis zu neun Jahre Haft drohen. Auch der oberste Osmanen-Vizechef Selcuk Sahin könnte vier oder mehr Jahre ins Gefängnis kommen.

Beiden dürfte eine direkte oder indirekte Beteiligung beim gravierendsten Fall der Anklageschrift zum Verhängnis werden: Im Februar 2017 wurde ein Aussteiger, der Gießener Osmanen-Chef Celal Sakarya, zwei Tage in Herrenberg malträtiert und angeschossen. Der Vize Sahin soll davon gewusst oder den Auftrag gegeben haben, Uzundal als lokaler Präsident soll verantwortlich sein.

Vize-Chef des Stuttgarter Osmanenablegers will freies Geleit für Zeugenaussage

Doch ein wichtiger Kronzeuge hält sich in Izmir in der Türkei auf: Mustafa Kilinc, ehemaliger Vizepräsident der Stuttgarter Osmanen. Er soll bei der Gewaltorgie eine tragende Rolle gespielt haben und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Kilinc hat dem Richter Holzhausen vorige Woche mitgeteilt, dass er nach Deutschland kommen will. „Er möchte unbedingt aussagen und habe eine schwere Straftat begangen“, gibt Holzhausen den Inhalt eines Telefonats wieder. Ihm wird für begrenzte Zeit freies Geleit zugesichert, wenn er vor Gericht aussagt – und dabei die Wahrheit sagt, so die Vereinbarung. Inzwischen ist dem Gericht auch die Anschrift bekannt.

Da sich die Formalitäten und Ausreise erfahrungsgemäß hinziehen, ist eine Vernehmung Kilincs erst für den 26. Februar terminiert – bis dahin wird der Prozess also auf jeden Fall andauern. Kilinc könnte aber Entscheidendes beitragen, könnte die führenden Osmamen be- oder entlasten.

Der zweite dramatische Fall, eine Massenschlägerei im November 2016 in Ludwigsburg, bei der zwei Kurden von 20 Osmamen verprügelt wurden, stellt sich hingegen schwierig dar: Ungenaue Aussagen der Zeugen und Opfer machen es schwer, Täter zu identifizieren. Womöglich wird dieser Tatkomplex sogar eingestellt, weil es an konkreten Nachweisen fehlt.

Nicht nur in diesem Fall krankt das Verfahren über 35 Verhandlungstage hinweghäufig an der Tatsache, dass Zeugen sich nicht erinnern können oder wollen, frühere Aussagen zurücknehmen oder sich widersprechen. Das stellt die Anklage von Staatsanwalt Michael Wahl immer wieder vor Schwierigkeiten – eine ganze Reihe von Vorwürfen könnte daher am Ende überhaupt nicht ins Gewicht fallen.

Oberster Osmanenchef muss wohl nicht mit langjähriger Haftstrafe rechnen

Vor allem der oberste Osmanen-Chef, Mehmet Bagci, könnte mit einer Gefängnisstrafe unter zwei Jahren davon kommen, so die Einschätzung des Gerichts. Ihm wurde zu Beginn des Verfahrens vorgeworfen, Zeugen zu beeinflussen – doch dafür fand sich bislang kein Nachweis. Eigentlich wurde sein Haftbefehl vom Landgericht Stuttgart aufgehoben – weil aber gegen Bagci in Hessen wegen einer Diebstahlserie parallel ermittelt wird, bleibt er weiter inhaftiert und wird in Handschellen zu jedem Verhandlungstag geführt.

Ein Tatkomplex wird im November noch genauer betrachtet, bei dem Bagci laut Anklageschrift involviert sein soll: Ein Mieter soll in Wetzlar in Hessen mit dem Satz „Du wirst die Wohnung tot oder lebendig verlassen“ bedroht und mit einem Baseballschläger geschlagen worden sein. Dazu werden am 6. November Polizisten und Zeugen geladen. Zudem bemüht sich das Gericht, eine weitere Schlüsselszene der internen Konflikte des Rockerclubs Osmanen Germania aufzuklären.

Dabei geht es um eine Konfrontation in Wuppertal am 12. Juni 2017 zwischen 20 bis 30 Osmanen. Der durch ein Interview auf dem Sender RTL bekannte Aussteiger Cebrail Kaya, genannt Cebo, soll dort bedroht, geschlagen und um 7000 Euro erpresst worden sein. Cebo tritt gerne als Kronzeuge gegen seine ehemaligen Kameraden auf und soll angeblich zur Motorradgang Satudarah überlaufen wollen.

Auf dem Platz der Repbublik in Wuppertal wäre es im Juni 2017 beinahe zu einem Blutbad gekommen, wenn nicht ein Anhänger des Aussteigers die Polizei gerufen hätte. Auch hier soll der Stuttgarter Osmamen-Chef Levent Uzundal als Auftraggeber involviert sein – was er bestreitet.