Sechs Jahre Haft: Das Landgericht verurteilt einen 62-Jährigen Geflüchtetenwegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.

Er kam auf der Flucht vor dem Krieg in seinem Heimatland nach Ditzingen und hätte in einem als Flüchtlingsunterkunft genutzten Hotel einem Landsmann fast den Tod gebracht. Nur mit viel Glück überlebte ein Ukrainer eine lebensgefährliche Messerattacke, für die ein 62-jähriger Landsmann nunmehr für sechs Jahre ins Gefängnis muss. Zu dieser Haftstrafe verurteilte das Landgericht Stuttgart den 62-jährigen Mann wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar sieben Jahre Haft gefordert, die Verteidigung hatte die Strafe ins Ermessen des Gerichts gestellt.

 

Streit um ein Maßband

Der Angeklagte war im Juli vergangenen Jahres in dem Ditzinger Hotel untergebracht worden, im September folgte das spätere Opfer, das auf demselben Stockwerk zwei Zimmer weiter wohnte. Nach den Erkenntnissen des Gerichts war der Angeklagte im Hotel häufig negativ aufgefallen, weil er nach Alkoholgenuss mehrfach Kindern gegenüber bedrohlich mit Messer oder Gabel in der Hand auftrat. Auch habe er seine Zimmernachbarin wegen der Rückgabe eines ausgeliehenen Maßbandes unangemessen bedrängt und darauf hingewiesen, dass er in der Ukraine schon neun Jahre im Knast gesessen sei.

Ende Oktober vergangenen Jahres kam es nach Erkenntnis des Gerichts im Speisesaal zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und dem Opfer, weil Ersterer einer kranken Frau in der Essensschlange nicht den Vortritt lassen wollte. „Darauf hat der Angeklagte gedroht, man werde das später unter Männer klären. ,Du kriegst heute noch ein schönes Geschenk’“, zitierte der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann. Gegen 2 Uhr in der Nacht hätten sich die beiden Männer auf ihren Balkonen beim Rauchen wieder getroffen, sie hätten sich gegenseitig beleidigt. Der Angeklagte sei unter anderem „Kinderschänder“ genannt worden.

1,2 Promille

Daraufhin habe der 62-Jährige erneut gefordert, das „eins zu eins zu klären“ und sei mit einem Küchenmesser mit zwölf Zentimetern Klingenlänge in den Flur geeilt. Als sein darauf völlig unvorbereiteter Landsmann gekommen sei, habe er zweimal auf ihn eingestochen: einmal im oberen Armbereich, einmal in Richtung des Herzens. „Das Opfer ging stark blutend und schwer atmend zu Boden, und der Angeklagte war sich sicher, dass er nicht überleben werde“, führte Winkelmann weiter aus. Weil eine Zimmernachbarin aus der Tür schaute, habe sich der 62-Jährige in sein Zimmer zurückgezogen und zur Beruhigung einen Whiskey getrunken. Sein Blutalkoholgehalt zur Tatzeit betrug 1,2 Promille.

Der lebensgefährlich verletzte Mann konnte nur gerettet werden können, weil andere Hotelbewohner schnell die Polizei und den Notarzt alarmiert hatten. Er wurde zunächst im Klinikum Ludwigsburg notoperiert und wenige Stunden später noch ein zweites Mal in einer Spezialklinik in Stuttgart, weil ein Herzbeutel verletzt war. Das Opfer leidet bis heute unter den Folgen. „Meine Nerven sind kaputt“, hatte sich der Mann vor Gericht plastisch ausgedrückt.

Keinen Glauben schenkte die Schwurgerichtskammer der Aussage des Angeklagten, er habe sich bedroht gefühlt, weil zwei Männer an seine Tür gehämmert hätten und das Opfer ihn gestoßen habe, als er geöffnet habe. Er habe auf den nächststehenden Mann eingestochen, damit die beiden nicht in sein Zimmer eindringen würden. „Das ist eine Schutzbehauptung, die durch die Blutspuren im Flur und die übereinstimmenden anderen Zeugenaussagen widerlegt wird“, stellte Winkelmann klar.

„Haarscharf am Tod vorbeigeschrammt“

Zugunsten des Angeklagten wertete das Gericht, dass der 62-Jährige den Messerstich zugegeben habe und alkoholbedingt beeinträchtigt gewesen sei. Auch dass er zugesagt habe, ein Schmerzensgeld von 5000 Euro zu zahlen, sei grundsätzlich positiv, auch wenn es dazu wegen seiner Mittellosigkeit wohl nicht kommen werde. „Das Opfer ist nur haarscharf am Tod vorbeigeschrammt und wird lebenslang unter der Tat leiden“, so Winkelmann. Zu einer solchen Tat sei der Anlass in krassem Missverhältnis gestanden.