Ein Jahr nach dem Unfall mit zwei Toten und 27 Verletzten in der Bad Säckinger Fußgängerzone wünscht sich der betagte Angeklagte nur, dass ihm die Angehörigen vergeben.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Bad Säckingen - Eigentlich ist Elmar Fielenbach schon am Gehen. Gerade verabschiedet er sich von einem Bekannten, da schießt ein silberner Skoda Octavia durch die Bad Säckinger Fußgängerzone. Tische und Stühle fliegen durch die Luft. „Warum fährt der denn hier rein“, denkt der 75-Jährige noch. Im nächsten Moment wird es dunkel. Der Tisch, an dem er gerade noch gesessen hat, bohrt sich in seinen Unterbauch, herumfliegende Teile treffen ihn am Kopf. Als er wieder zu sich kommt, hat sich der Skoda wenige Meter weiter an einer Sitzbank fest gefahren. Menschen hasten durcheinander, überall liegen Schwerverletzte. Fielenbach wählt die Nummer seiner Frau, die zu Hause gerade die Koffer packt. „Hier ist etwas Schlimmes passiert“, sagt er. „Aber wir können trotzdem nach Norwegen reisen.“

 

Aus der geplanten Fahrt auf den Hurtigruten ist nichts geworden. Zehn Tage verbrachte Fielenbach mit schweren Knochenbrüchen im Krankenhaus, vier Wochen konnte er nicht gehen. Noch heute muss er regelmäßig zur Gymnastik. „Ich hatte Glück“, sagt er. Eine 63-jährige Frau war sofort tot, ein 60-jähriger Mann starb am selben Tag im Basler Spital. Insgesamt behandelten die Kliniken 27 Schwerverletzte. Viele leiden noch heute an den körperlichen und psychischen Folgen.

Tapfer hält der Angeklagte den Kopf hin

Der Mann, der an jenem schrecklichen Unfall vor fast einem Jahr die Schuld tragen soll, blickt hilflos im Bad Säckinger Gerichtssaal umher. Dann geleitet ihn sein Anwalt zu seinem Platz auf der Anklagebank. Fernsehteams und Pressefotografen machen ihre Bilder. Tapfer hält er den Kopf hin. Sein Mandant wolle nicht, dass sein Gesicht verpixelt werde, erklärt der Anwalt. Er stehe zu dem Prozess. „Ich bin froh, dass ich mich dem Verfahren stellen kann. Es ist das Mindeste, was ich den Angehörigen der Opfer schuldig bin“, lässt er seinen Anwalt in einer vorbereiteten Erklärung verlesen. Der 85-Jährige hat kräftige Hände, klare blaue Augen – ein stattlicher Mann. Und doch fehlt ihm die Kraft, selbst zu reden. „Ich hoffe, dass mir das nicht als Feigheit ausgelegt wird“, formuliert der 85-Jährige in seiner Erklärung.

Jener 9. Mai 2016, an dem alles geschah, beginnt fröhlich. Die erwachsene Enkelin aus München ist zu Besuch. Zur Feier des Tages will man gemeinsam in einer nahen Gaststätte Essen gehen. Doch wegen seiner Frau, die nach zwei Schlaganfällen auf einen Rollator angewiesen ist, holt der Mann das Auto aus der Garage. Sogar gewaschen habe er es noch.

Woher kam der Radler?

Der Rentner ist schon auf Parkplatzsuche, als es kracht. Mit Schritttempo sei er über den verkehrsberuhigten Spitalplatz gefahren und habe gleich wenden wollen, als plötzlich ein Radfahrer in die Windschutzscheibe gestürzt sei. „Ich weiß weder, woher er kam, noch wohin er wollte“, so der Angeklagte. Das Glas splittert, der Motor heult auf. Er habe Bremse und Gas verwechselt und den Kickdown seines Automatikwagens betätigt, sagt die Staatsanwältin. Unklar ist, ob dies vor oder nach dem Zusammenstoß geschah.

Den Rest hat die Überwachungskamera einer Eisdiele festgehalten. Der Wagen rast in die enge Metzgergasse, wo an jenem schönen Frühlingstag Dutzende Menschen vor den Cafés sitzen. Der Radler rutscht von der Motorhaube und fliegt mit voller Wucht auf eine Frau, die vor einer Osteria Kaffee trinkt. Beide sterben. Im nächsten Moment sieht man, wie Passanten angsterfüllt in die Eisdiele flüchten. Eine Amokfahrt? Ein Terroranschlag?„Es war zunächst nicht klar, ob es sich nur um einen Unfall handelt“, sagt der ermittelnde Verkehrspolizist, der mehr als 80 Zeugen befragte. Doch dann steigt ein 85-Jähriger aus dem Auto und weint. „Was habe ich getan?“, habe er gerufen und sich von der Rheinbrücke stürzen wollen. Er sei gut katholisch, doch selbst der herbeigeeilte Münsterdekan, der sich mit ihm auf eine Bank setzt, kann den Mann nicht beruhigen. Einen Tag später wird er wegen Suizidgefahr in die Reichenauer Psychiatrie gebracht.

Sicher oder überfordert?

Das Jahr 1965 ist auf dem Führerschein des Mannes als Ausstellungsjahr eingetragen. In der gesamten Zeit sei er unfallfrei gefahren, beteuert er. Derweil hat der Fall eine Debatte über die grundsätzliche Fahrtüchtigkeit von Hochbetagten ausgelöst. Ihr Großvater habe zuvor am Steuer eigentlich immer noch einen sicheren Eindruck gemacht, sagt die Enkelin, die während des Unfalls auf der Rückbank saß. Bei einer medizinisch-psychologischen Untersuchung des Tüv in Singen eine Woche später sei der Mann allerdings überfordert gewesen, sagt der Verkehrspolizist. „Er kam nicht einmal über die Testphase hinaus.“

Seinen Führerschein will der Angeklagte auch gar nicht zurück. Das Gericht werde eine gerechte Strafe für ihn finden. Seine einzige Furcht sei, dass ihm nicht verziehen werde. Das Strafmaß reicht von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft.

Elmar Fielenbach hat nach zwei Stunden genug gehört und geht seiner Wege. „Ich verstehe noch nicht alles, aber es war keine Absicht“, sagt er. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.