Ist Amanda Knox unschuldig? Im Prozess um die Ermordung der Studentin Meredith Kercher bekriegen sich die Gutachter nun gegenseitig.

Rom - "Endlich glaubt mir mal jemand!" Der 24-jährigen Amanda Knox fällt ein Stein vom Herzen. Vier Jahre sitzt sie "als Unschuldige" bereits in Haft, zu insgesamt 26 Jahren hat das Schwurgericht in Perugia die amerikanische Studentin verurteilt.

 

Jetzt aber geht der Berufungsprozess in die Schlussrunde, und jetzt sieht es so aus, als seien die Hauptbeweise aus der ersten Instanz rein gar nichts wert: Nicht Amanda Knox und auch nicht ihr damaliger Freund Raffaele Sollecito (25 Jahre Haft) sollen für die brutale Ermordung der britischen Austauschstudentin Meredith Kercher im November 2007 verantwortlich sein. Die wissenschaftlichen Gutachter der zweiten Instanz haben das Werk ihrer Kollegen der ersten Instanz gründlich zerlegt: "Schlamperei bei den Ermittlungen", werfen sie der Polizei und den Gerichtsmedizinern vor, "Missachtung internationaler Regeln", "Verunreinigung von Proben" und "falsch interpretierte DNA-Untersuchungen".

Zwar haben die Verteidiger der beiden Hauptangeklagten, wie es nach dieser angeblichen Wende im Prozess naheläge, noch nicht die sofortige Enthaftung ihrer Mandanten gefordert; dass sie für das Urteil im Berufungsverfahren - für September erwartet - mit einem Freispruch rechnen, das aber verhehlen sie nicht.

Tatsächlich ein Engel im Sex- und Drogenrausch?

Amanda Knox. Für ihre Verteidiger ist sie "so natürlich, schlicht und rein wie Wasser und Seife, überrollt von einem Medien-Tsunami". Der Staatsanwalt aber sieht in der Amerikanerin aus Seattle eine "durchtriebene Mörderin", die mit "enormer Schauspielerei" die Öffentlichkeit zu ihren Gunsten manipuliere.

Als "Engel mit Eisaugen" haben Medien die Studentin apostrophiert, die in Italien schon allein wegen ihres Aussehens Furore macht: Sollte "so ein hübsches Mädchen" fähig gewesen sein, zusammen mit zwei jungen Männer eine 21-jährige Mitstudentin zu quälen, zu vergewaltigen, sie mit Messerstichen zu übersäen und ihr am Ende die Kehle durchzuschneiden? Bloß weil jene Britin nicht so moralisch freizügig leben wollte wie ihre amerikanische WG-Mitbewohnerin? Amanda Knox - tatsächlich ein Engel im Sex- und Drogenrausch, wie die ersten Richter im Dezember 2009 urteilten?

Jenes Urteil war - weil Knox und ihr Freund Sollecito sich von Anfang an als unschuldig bezeichnet hatten - auf Indizien gebaut: auf DNA-Spuren vor allem am Büstenhalter der Ermordeten und an Sollecitos Küchenmesser. Doch die neuen Gutachter sagen, erst die dilettantisch vorgehende Polizei habe das "Erbmaterial des Mörders" auf den BH des Opfers gebracht.

Nächste Verhandlung findet am 5. September statt

Der Handschuh des Beamten - die Gutachter zeigten dem Gericht Videoaufnahmen - sei sichtlich verschmutzt gewesen; die viel zu vielen Polizisten am Tatort hätten Spuren durcheinandergebracht; mit demselben Stück Watte hätten sie gleich mehrere Blutproben aufgenommen; der fragliche BH habe noch 46 Tage auf dem Boden der Wohnung gelegen, verschmutzt von Staub und tausend anderen Miniteilchen, und am Küchenmesser finde sich gleich gar keine Spur vom Blut der Ermordeten: die DNA-Untersuchungen seien einfach falsch interpretiert worden.

Die derart Angegriffenen wehren sich. Der Chef der "Wissenschaftlichen Polizei" in Italien schickte dem Gericht einen langen Brief, worin er die Attacken zurückweist und als "rufschädigend" verurteilt. Die Staatsanwälte ihrerseits erklären das neue Gutachten für belanglos, weil es Fehler aufweise und - neue Laboruntersuchungen als "unmöglich" bezeichnend "nur nach Aktenlage" erstellt worden sei. "Eher fällt ein Meteorit vom Himmel und zerstört dieses Gerichtsgebäude", als dass die Polizei die Proben verunreinigt habe, tobte jener Professor für Rechtsmedizin, den die Staatsanwaltschaft zu Rate gezogen hat.

Jetzt ist in Perugia erst einmal Sommerpause. Die nächste Verhandlung findet am 5. September statt.